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#Kann man jetzt noch grooven?

„Kann man jetzt noch grooven?“

Musik erzählt immer eine Geschichte. Aber manchmal ist diese besonders eindringlich. Etwa auf diesem Album. Da fallen mal die Töne wie Schneeflocken, als wäre es ein Impromptu von Robert Schumann, das Stück heißt „Winter in Odessa“. Dann wieder, die Nummer heißt „Central Station“, treibt ein Beat machtvoll vorwärts, man hört Züge ankommen und abfahren, obwohl alles nur Soloklavier ist.

Egal, ob man Klassik liebt oder Jazz oder Chanson oder Ragtime – all das wird hier eins. Manch eine Passage erinnert ein wenig an die Stücke von Charlie Chaplin, der ja auch komponierte, oder an George Gershwin, vor allem an den „Amerikaner in Paris“ – kraftvolle Musik, sehr intellektuell, aber immer noch voller Swing. Und dann kommt ein Solo, eine so markante und klare Improvisation, die mühelos das oberste Niveau des aktuellen Jazz erreicht.

Der Mann, der so genial Klavier spielt, heißt Vadim Neselovskyi. Er hat einen deutschen und einen ukrainischen Pass. Er ist Professor am Berklee College of Music in Boston, der besten Musikschule der Welt. Er spielt mit den Größten des Jazz. Hierzulande kennt kaum einer den 44-Jährigen. Das sollte sich ändern – jetzt mit seinem Album „Odesa“. Gemeint ist Odessa, die Millionenstadt am Schwarzen Meer, in der zurzeit Raketen einschlagen. Neselovskyi ahnte davon nichts beim Aufnehmen, er hat zwei Jahre an dem Album gearbeitet, kurz vor Kriegsausbruch war es fertig.

Dies müsste eigentlich eine Geschichte über einen klugen und hochbegabten Musiker sein, der im internationalen Jazz anerkannt ist und auch in Deutschland zu entdecken wäre. Weil der Krieg aber alles überschattet, ist es auf einmal eine Geschichte darüber, wie auch die Kunst sich politisiert.

„Leider kann ich an gar nichts anderes mehr denken“, sagt Neselovskyi. „Wir dachten doch von dieser Welt, dass es keinen Krieg mehr gibt, wir arbeiten stattdessen an Themen wie der Gleichberechtigung von Frauen und Männern, am Umweltschutz, und nun ist doch wieder alles auf eine Frage reduziert. Böse und Gut, schwarz und weiß. Das verändert die Kunst, das verändert alles für uns Künstler.“

Der Krieg verändert die Kunst

Als Musikprofessor unterrichtet er Menschen aus der ganzen Welt. Auch zwei Russen sind in seinen Kursen. Sie demonstrieren nun mit ihm gegen den Krieg. „Seit dem 24. Februar denke ich: Alle sind verloren. Die Welt wird nicht mehr so sein, wie sie vorher war“, sagt Neselovskyi.

Und: „Kann man da noch sagen: Let’s groove?“ Er sagt auch, er sehe den Krieg in Syrien jetzt anders. Es sei für ihn schmerzhaft, dass wir die Situation so ausgeblendet haben. „Wie oft habe ich ganz normal weitergemacht, wenn in Syrien Bomben fielen?“

Vadim Neselovskyi bei einem Benefizkonzert für die Ukraine in Krefeld im März.


Vadim Neselovskyi bei einem Benefizkonzert für die Ukraine in Krefeld im März.
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Bild: Vadim Neselovskyi/Facebook

Krieg, Migration, Systemwechsel – das alles ist mit Odessa eng verbunden und auch mit Neselovskyis eigenem Leben. Im Jahr 1995 kam er als jüdischer Kontingentflüchtling nach Deutschland, das Wort meinte Flüchtende, die auf direkte Anordnung des Innenministeriums ohne Prüfung in Deutschland leben dürfen. Von 1991 an wurde Menschen mit jüdischen Vorfahren so die Emigration aus der zerfallenden UdSSR ermöglicht.

Mit gutem Grund, findet Neselovskyi: „Antisemitismus war in der ehemaligen Sowjetunion ganz normal.“ Als Kind habe er oft „Geh doch nach Israel!“ gehört, seinem Vater habe man die Karriere an der Universität schwer gemacht, es habe sogenannte „Judenquoten“ gegeben. Die Okkupation von Odessa durch rumänische Faschisten war in der Schule nie Thema. Auf seinem Album gibt es nun ein Stück namens „October 1941 Prayer“, das sich auf einen Massenmord an den Juden in Odessa und Transnistrien im Oktober 1941 bezieht.

Flucht vorm russischen Antisemitismus

In Deutschland fanden Neselovskyi und seine Familie Sicherheit. Er habe sich hier „immer sehr gut gefühlt“. In Unna lebte er, in Detmold studierte er. Rechtsradikale Demos fielen auch ihm unangenehm auf. Aber unterm Strich, sagt er, bleibe das Land für ihn ein Vorbild dafür, wie verschiedene Ethnien miteinander leben. „Im Einflussbereich Russlands war das nie so. Es gibt dort auch keine Aufarbeitung der Vergangenheit, wie die Deutschen sie hatten. Jetzt sieht man, was passiert, wenn das ausbleibt.“

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