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#Kein Ort stand mir vor Augen

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Kein Ort stand mir vor Augen

Es ist Spätsommer 1933. Der Regisseur Jean Renoir, Sohn des Impressionisten Auguste Renoir, hat für die erste französische Verfilmung von Gustave Flauberts Roman „Madame Bovary“ Freunde und Familie im normannischen Ackerbürgerdorf Lyons-la-Forêt zusammengetrommelt. Sein Neffe Claude ist als Kameramann engagiert. Den Schnitt übernimmt Renoirs Lebensgefährtin. Renoirs älterer Bruder Pierre, ein damals berühmter Schauspieler und Vater des Kameramanns Claude, spielt die Rolle des gehörnten Landarztes Charles Bovary.

Die Rolle der Titelheldin ist mit Valentine Tessier besetzt. Die mit einundvierzig Jahren für die Rolle der gelangweilten Arztgattin, Ehebrecherin und Selbstmörderin bereits sehr reife Schauspielerin ist seit Kurzem mit Gaston Gallimard liiert. Der Verleger ist zugleich Produzent des Films und hatte darauf bestanden, die Hauptrolle seiner Geliebten zu geben. Was alle wissen: Noch ein Jahr zuvor waren nicht Valentine Tessier und Gaston Gallimard, sondern Pierre Renoir und die Schauspielerin ein Paar. Was niemand ahnt: Das Leben kann bunter als jeder Film sein, selbst dann, wenn der größte Skandalroman der französischen Literatur – vielversprechender Untertitel „Sitten der Provinz“ – den Stoff für die Leinwand liefert. Bei den Dreharbeiten kommen sich die einstigen Geliebten wieder näher und verlassen Lyons-la-Forêt als neu ineinander verliebtes Paar. Schnitt.

Feld-, Wald- und Wiesennormandie

Knapp neunzig Jahre später erinnert der Parcours „Madame Bovary, Secrets de Tournage“ mit einem Dutzend Stationen und ebenso vielen großformatigen Fotos an die Dreharbeiten in Lyons-la-Forêt. Vom Liebesdrama am Set keine Spur. Valentine Tessier schaut mit stummfilmdramatischem Blick ins Leere. Pierre Renoir lauscht brav den Regieanweisungen seines Bruders Jean. Der Film wurde kein Erfolg. Der verlassene Gallimard ließ die fertige Fassung aus Wut und Rache so stark zurechtschneiden, dass Pierre Renoir zur Nebenfigur deklassiert wurde und die Handlung wie eine zusammenhanglose Aneinanderreihung wirkt.

An der Säule erkennt man ihn: der Originalschauplatz der Filmszene.


An der Säule erkennt man ihn: der Originalschauplatz der Filmszene.
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Bild: Klaus Simon

Im Jahr 1990 wählte auch Claude Chabrol das puppenstubenadrette Dorf in der Feld-, Wald- und Wiesennormandie östlich von Rouen als Kulisse seiner Version von „Madame Bovary“ aus. Chabrol schuf ein Meisterwerk mit Isabelle Huppert in der Hauptrolle und mit weitaus größerem Erfolg an der Kinokasse – Setfotos dieses Drehs säumen ebenfalls den Parcours „Madame Bovary, Secrets de Tournage“. Renoir hatte leichtes Spiel, Lyons-la-Forêt in den fiktiven Ort Yonville-l’Abbaye aus Flauberts Roman zu verwandeln. Chabrol musste etwas stärker nachhelfen. Wo Asphalt das Gesamtbild störte, ließ Chabrol Sand aufschütten. Wenn ein modernes Ladenschild die Illusion beeinträchtigte, wurde ein mit Heuballen haushoch beladender Pferdewagen davor abgestellt. Ansonsten stimmte die Kulisse und stimmt bis auf den heutigen Tag. In Lyons-la-Forêt ist das Fachwerk krumm, aber gepflegt. Kopfsteinpflastergassen kringeln sich um den Hügel einer längst verschwundenen Burg. Den Hauptplatz beherrscht eine vierhundert Jahre alte Markthalle, und am Ortsschild prangt das Label der „schönsten Dörfer Frankreichs“. Das gibt es nur für ein makellos erhaltenes Ortsbild. Für den Erfolg als Besuchermagnet fernab der Küste sorgt auch, dass Lyons-la-Forêt mit Chabrols Film in der französischen Öffentlichkeit endgültig zu dem Dorf wurde, in dem Madame Bovary dem Abgrund entgegentaumelte.

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