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#Klingt besser, als sie aussieht

Klingt besser, als sie aussieht

Die Diskussion um die Akustik von Konzertsälen hat etwas Feintuerisches be­kommen. Es ist, als würden sich Weinkenner über den Schliff ihrer Kristallkelche ausführlicher unterhalten als über de­ren Inhalt. Der neue Behelfsbau für den in Sanierung befindlichen Münchner Ga­steig klingt, ganz ohne Umschweife ge­sagt, völlig akzeptabel. Man kann dort konzentriert, mit Freude und Gewinn ­Orchestermusik hören. Die Trennschärfe der Einzellinien ist deutlich besser als im alten Gasteig.

Als Valery Gergiev zur Eröffnung die Münchner Philharmoniker leitete, konnte man ganz wunderbar den thematischen Dialog der Fagotte mit Flöten und Oboen im ersten Satz des vierten Klavierkonzerts von Ludwig van Beethoven mitverfolgen, wobei sich Daniil Trifonov am Klavier mit fürsorglicher Aufmerksamkeit zurücknahm. Die B-Dur-Episode im Finale, wenn die zweistimmig geführten Bratschen mit den Celli fast wie ein altenglisches Gambenconsort klingen, hatte etwas Feinnerviges, Intimes und Verletzliches, was Beethovens Musik hier auch zu eigen ist. Und noch im Wellengemurmel des Tagesanbruchs zu Beginn der zweiten Suite aus „Daphnis et Chloé“ von Maurice Ravel konnte man den Farbwechsel zwischen Klarinetten und Flöten wie den zwischen Schatten und Licht ge­nießen, ohne dass der Gesamteindruck eines Monumentalpanoramas durch aufdringliche Einzelheiten zerrissen worden wäre. Der Saal gibt der Musik, was diese selbst fordert. Also ist er funktional ge­lungen.

Klangsegel könnten helfen

Dass die quecksilbrigen Wirbel von hohen Holzbläsern und Schlagzeug in „Araising Dances“ von Thierry Escaich oder den „Métaboles“ von Henri Dutilleux in alle Richtungen zerstieben, kann man vielleicht – wie anderswo auch – durch Klangsegel korrigieren und besser fokussieren. Der Philharmonische Chor München klang im Auszug aus dem „Versiegelten Engel“ von Rodion Schtschedrin tadellos: weder verwaschen noch zersplittert, stets deutlich und mit innerer Leuchtkraft. Dass Streicher in der Mittellage oft hohl und körperlos wirken, wird sich mit spielerischer Einübung in den Saal noch ändern. Es gibt musikalisch Schlimmeres in dieser Welt.

Architektonisch kein Kleinod: die Isarphilharmonie.


Architektonisch kein Kleinod: die Isarphilharmonie.
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Bild: dpa

Das Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner hat mit dem Akustiker Yasuhisa Toyota eine gute Grundlage geschaffen, dass die Münchner Orchester – die Philharmoniker genauso wie das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, sicher auch das Münchner Kammerorchester und vielleicht auch das Rundfunkorchester – hier die nächsten Jahre werden arbeiten können. Die Sa­nierung des Gasteigs wird nicht vor Ende dieses Jahrzehnts abgeschlossen sein; über den Neubau eines Konzertsaals am Ostbahnhof wird sicher demnächst neu diskutiert werden.

Stau in den Gängen und an den Türen

Was an diesem Interim im Stadtteil Sendling, direkt an der Isar, nicht funktioniert, ist der soziale Teil des Versammlungsgebäudes. Der Konzertsaal hat zu wenig Türen. Wer im Parkett Mitte sitzt, braucht bei voller Saalbelegung – als halbwegs höflicher Mensch – eine Viertelstunde, um den Raum verlassen zu können. Der Stau in den Gängen und an den Türen ist zu groß; die Wartezeiten an den Toiletten in den Pausen sind erheblich. Die alte Trafohalle aus dem Jahr 1929, die als vorgeschalteter, denkmalgeschützter Bau dem Konzertsaal als Foyer dient, ist zu klein für 1800 Gäste auf einmal. Frei bewegen kann man sich in der Pause dort nicht.

Der Konzertsaal selbst sieht mit seinem Innenraum aus schwarz gebeiztem, unlackiertem Fichtenholz und heller Bühne fast genauso aus wie das Musiikkitalo in Helsinki. Die ganze Holzkonstruktion ist mittels einer beachtlichen Ingenieurleistung in den Blechcontainer, der den Saal umgibt, eingehängt worden. Der Container selbst sieht aus wie das verkleinerte Logistikzentrum eines Versandhändlers an der A4 in Bad Hersfeld oder wie eine monumentale Verrichtungsbox in gehobener Ausstattung. Darf man für 43 Millionen Euro Baukosten wirklich nicht mehr erwarten? Die Strategie der Luxusvermeidung wird im Foyer, der Trafohalle, durch den Denkmalschutz begründet, der gefordert habe, den Industriebau weitgehend unangetastet zu lassen. Daher blieben die Bodenmarkierungen der Lagerhalle ebenso erhalten wie die Blechbrüstungen der Zwischengeschosse. Alle Leitungssysteme strecken sich dem Blick un­verkleidet entgegen.

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Dieser industrial chic findet sich mittlerweile in vielen urbanen Hochkulturbauten der Welt, die keine Provisorien mehr sind. Auch der Foyer- und Garderobenbereich der von Jean Nouvel entworfenen neuen Philharmonie Kopenhagen sieht so aus wie der Lagerraum eines Um­zugsunternehmens.

Hegemonie durch falsche Bescheidenheit

Solche architektonischen Statements sind ein Zeichen dafür, dass das Bürgertum die museal gewordenen Areale des Industrieproletariats sozial kolonisiert, ohne dessen kulturelle und ökonomische Interessen wirklich zu teilen. Man will seine Hegemonie sichern durch eine ausgestellte, daher auch falsche Bescheidenheit, die den Burgfrieden sichern soll. In Budget und Erscheinung ist die „Isarphilharmonie“ – nach der Adresse in der Hans-Preißinger-Straße auch „Gasteig HP 8“ genannt – Ausdruck einer neuen Hochkulturscham.

Als Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter den Bau in seiner Eröffnungsrede als „Blaupause für Kulturbauten der Zukunft“ bezeichnete, klang das wie eine als Lob verpackte Drohung. Als Interimsbau ist die Isarphilharmonie sorgfältig gemacht, als Dauerlösung wäre sie eine Kapitulation und ein Symptom dafür, dass die klassische Musik in den anstehenden Verteilungskriegen bereits vorsorglich Deckung im Schützengraben der Unscheinbarkeit sucht.

Daniil Trifonov, glühend vor Innigkeit, spielte am Klavier als Zugabe Myra Hess’ Bearbeitung des Chorals „Jesus bleibet meine Freude“ aus der Kantate BWV 147 von Johann Sebastian Bach. Er tat damit etwas Ungeheuerliches: Inmitten eines Baues, der schon äußerlich Musik nurmehr als Gewerbe und Geschäft definiert, hat er leise, aber unerschrocken gebetet.

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