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#Kommentar über Umfragen: Die demoskopierte Republik

Kommentar über Umfragen: Die demoskopierte Republik

Schon einmal standen drei Kanzlerkandidaten zur Wahl, und dennoch spielt sich etwas Neues in Deutschland ab. Guido Westerwelle, der erste dritte Kanzlerkandidat, konnte nicht ernsthaft damit rechnen, gewählt zu werden. Das ist jetzt anders. Alle drei Bewerber haben eine Chance auf das Kanzleramt, Olaf Scholz aus heutiger Sicht die geringste, Annalena Baerbock und Armin Laschet eine relativ hohe. Für alle drei gilt: Sie müssen nicht einmal als Stärkste aus der Wahl hervorgehen, um regieren zu können.

Aber stehen sie überhaupt als Kanzlerkandidaten zur Wahl? Formal nicht. Die Bundestagswahl ist schließlich nicht die Direktwahl des Kanzlers. Wenn es so wäre, müsste der Stärkste regieren. Dennoch wird oft so getan, als sei es so. Eine starke Personalisierung der Wahl war zwar schon immer angelegt. Die Aufstellung der drei Kandidaten hat aber gezeigt, dass diese Tendenz übermächtig, ja gefährlich geworden ist. Dazu beigetragen hat eine Fixierung auf Umfragen, die an das Goldene Kalb erinnert.

Selbst die Partei, von der man dachte, sie sei wie ein Tanker im Meer der Sonntagsfragen, die CDU, gerät in den Strudel der täglichen „Plebiszite“. Markus Söder bewarb (bewirbt?) sich nicht als Kandidat einer Partei, eines Programms, sondern als Kandidat der Umfragen, der Stimmungen, der „Herzen“.

Kein Wahlerfolg ohne Personalisierung

Ähnlich ist es mit Annalena Baerbock. Dass die basisdemokratisch gepolten Grünen ihre Kandidatin sich selbst ernennen ließen, ist nicht Ausdruck von Gehorsam oder Repräsentation, sondern von Stimmung, von Mediendemokratie und von Umfragewerten. Die in Not geratene SPD machte daraus gar eine Tugend. Weil die Basis in der Vorsitzendenwahl nicht gerade die Instinkte eines Kanzlerwahlvereins zeigte, fiel die Wahl unweigerlich auf Olaf Scholz – den einzigen in der Parteiführung, der in Umfragen neben Kevin Kühnert noch mithalten konnte.

Scholz und Baerbock sind auf Personalisierung sogar angewiesen. Sie werden nur dann im September eine Chance haben, wenn sie vor einem großen Teil der Wählerschaft ihre Partei vergessen machen können. Dazu dienten Kanzlerkandidaten in gewissem Maße schon immer; nur wer fähig ist, zu mobilisieren und ins gegnerische Lager hineinzuwirken, hat Aussicht auf Erfolg. Unter dem Eindruck einer demoskopisch gesteuerten Stimmungsdemokratie ist daraus aber eine ganz neue Regel geworden: Umfragen geben das Tempo vor, Inhalte spielen nur noch eine Nebenrolle, was zählt, ist das Talkshow-Charisma.

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Umfragen stehen aber nicht am Ende der Meinungsbildung der Bürger, sondern am Anfang. Umfragen schaffen Umfragen: Antworten auf Personalfragen sind oft nur Massenreflexe, nicht mehr. Sie können etwas darüber sagen, für was jemand gehalten wird, aber nicht darüber, was er oder sie tatsächlich ist. Sie schreiben Kompetenzen zu, schätzen Inhalte ein. Über Kompetenzen und Inhalte sagen sie nichts.

Der „Volkswille“ als Horror

Die Erfinder der repräsentativen Demokratie kannten das Phänomen noch nicht, wohl aber die Mechanismen, die unentrinnbare Stimmungen auf unberechenbare Weise in Macht verwandelten. Vor dieser Erfahrung mit dem „Volkswillen“ hatten sie einen Horror, weil das Bedürfnis nach dem personalisierten Plebiszit für Blender, Demagogen, Jakobiner und Tyrannen das Lebenselixier war und ist. Dagegen hilft nur die Delegierung und Teilung von Macht, vor allem aber die Repräsentation. Im Grundgesetz äußert sie sich unter anderem darin, dass jedem Gulliver viele kleine Fesseln angelegt werden.

Eigentlich sollte diese Erfahrung, schaut man sich in der Welt um, präsenter sein denn je. Das Gegenteil ist der Fall. Die Sehnsucht nach Lichtgestalten, Führernaturen und dem strammen Max, der die Fesseln durchschlägt, ist so groß wie das Bedürfnis nach Orientierung durch Demoskopie.

Das Ende der Ära Merkel und großer Koalitionen, die als wandelnder Kompromiss und Konsensmaschinen regierten, trägt dazu bei. Aber untergründig entspringt diese Sehnsucht einem seit Jahren wachsenden Demokratieverständnis, das nicht den Ausgleich von Interessen lebt, sondern der Faszination an Wasserstandsmeldungen der Volkslaune erliegt. Wundert sich da noch jemand über den Niedergang der Volksparteien?

Auch die CDU/CSU war nie gefeit vor der Gefahr, die Lehren aus den Auswüchsen der Demokratie zu missachten, weil sie auf Führung und Regierung ausgelegte Volksparteien sind, die CSU traditionell noch mehr als die CDU. Dass die CDU jetzt kurz davor stand, sämtliche ihrer Führungsgremien als irrelevant beiseitezuschieben, zeigt, wie verführerisch die Droge sein kann, Vehikel eines Volkskönigs sein zu dürfen.

Armin Laschet wird das so schnell nicht passieren; mit ihm hat die Union noch einmal auf die „unmoderne“ Spur gefunden. Dass ihm dies als Zukunftsverweigerung und als bleibender Nachteil im Rennen um das Kanzleramt ausgelegt wird, macht aus der Bundestagswahl auch eine Testwahl über die Frage: Welche Demokratie soll es in Zukunft sein?

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