#Kommentar zu Israel und Amerika: Netanjahus Schlacht für Trump
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Washington mischt sich mit der Forderung nach Neuwahlen in innere Angelegenheiten Israels ein. Umgedreht geschieht das aber ebenfalls: Ist der Gazakrieg auch ein Beitrag Netanjahus zu Trumps Wahlkampf?
Benjamin Netanjahu versteht wie kein anderer israelischer Ministerpräsident vor ihm, wie Politik in Washington gemacht wird. Als er dieser Tage Chuck Schumer, den Mehrheitsführer der Demokraten im Senat, belehrte, Israel sei keine „Bananenrepublik“, weshalb dessen Forderung nach Neuwahlen in seinem Land „vollkommen unangemessen“ sei, mimte er Empörung. Tatsächlich ist es ein ungewöhnlicher Vorgang, wenn der wichtigste Vertreter der Präsidentenpartei im Kongress sich in innere Angelegenheiten eines engen Verbündeten einmischt. Doch ist die Sache komplizierter.
Schumer, der ranghöchste jüdische Politiker Amerikas, hatte im Plenum gesagt, für Netanjahu habe das eigene politische Überleben Vorrang vor den Interessen Israels. Dessen Regierung entspreche nicht mehr den Erfordernissen Israels nach dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober. Joe Biden lobte Schumer hernach. Er habe ernste Bedenken zum Ausdruck gebracht, die nicht nur er, sondern „viele Amerikaner“ teilten. Der Präsident ist nämlich nicht nur der Meinung, dass Netanjahu sich nicht um den Schutz unschuldiger Zivilisten in Gaza schert, sondern sich seinerseits in die amerikanische Politik einmischt.
Bedenken gegen den Atomdeal mit Iran
Netanjahu weiß, wie sehr der Gazakrieg Biden innenpolitisch schadet. Betrachtet der Ministerpräsident dies gleichsam als Kollateralnutzen seiner Militäroperation? Ist dies sein Beitrag zum Wahlkampf Donald Trumps? Ein Dankeschön für den Ausstieg aus dem Iran-Deal, die Verlegung der Botschaft nach Jerusalem und die Anerkennung der Golanhöhen?
Das Verhältnis zwischen den Demokraten und Netanjahu ist seit langer Zeit zerrüttet. Der Terrorangriff konnte das Misstrauen zwischen beiden Seiten nur zeitweise überdecken. Es ist schließlich nicht das erste Mal, dass Netanjahu und die Republikaner über Bande spielen. 2015 ließ er sich vom damaligen Sprecher des Repräsentantenhauses einladen, seine Bedenken gegen einen Atomdeal mit Iran vor dem Kongress auszubreiten – und versuchte so, Barack Obamas Bemühungen um die Vereinbarung mit Teheran zu untergraben.
Mit seiner nun zur Schau gestellten Empörung über Schumers Rede betätigte sich Netanjahu als Stichwortgeber für die Republikaner. Diese halten den Demokraten nämlich Doppelmoral vor: Wie könne man panisch anderen Staaten, wie Russland, Einmischung in die amerikanische Politik zugunsten Trumps vorwerfen, selbst aber die Absetzung einer demokratisch gewählten Regierung verlangen? Die Demokraten, so die republikanische Propaganda, die Netanjahu jetzt befeuert, seien keine wahren Freunde Israels mehr.
Zwei Drittel bekennen sich zu den Demokraten
Mit dem israelisch-amerikanischen Komplex lässt sich in den Vereinigen Staaten gut Wahlkampf machen. Den Republikanern – einst die Partei der Ölindustrie, welche die arabischen Interessen im Auge haben musste – geht es schon seit einiger Zeit mehr um die Evangelikalen, deren Endzeitglaube sie zu christlichen Zionisten macht. Trump, der als Präsident amerikanische Juden, die trotz seiner proisraelischen Politik Demokraten wählten, undankbar schimpfte, wirft der Partei nun vor, Israel zu hassen.
Derlei krude Propaganda verfängt im amerikanischen Judentum allerdings nicht. Auch sensiblere Umwerbungsversuche der Republikaner scheiterten schon. Zwei Drittel der amerikanischen Juden bekennen sich seit drei Jahrzehnten stabil zu den Demokraten. Biden muss vorerst keinen „Jexodus“ fürchten, also eine Abwanderung jüdischer Wähler hin zu den Republikanern, zumal große Teile von ihnen einen fairen Ausgleich mit den Palästinensern anstreben.
Dennoch stellt der Gazakrieg einen Wendepunkt dar. Die Debatte darüber, ob Biden sich mit seinen Waffenlieferungen an Israel mitschuldig mache an einem „Genozid“ an den Palästinensern, zeigt, wie sehr sich die Basis der Demokratischen Partei verändert hat. Es geht längst nicht mehr nur um die Stimmen der „Arab-Americans“ – es geht um Jungwähler und die afroamerikanische Kernklientel, die einen Kurswechsel fordern. Mit Ilhan Omar und Rashida Tlaib hat dieser Flügel, bei dem Israelkritik mitunter einen antisemitischen Zungenschlag erhält, längst Vertreter im Kongress.
Der Präsident kann den Wandel an der Basis nicht ignorieren. Es begann mit Mahnungen in Richtung Netanjahu, in Gaza militärische Verhältnismäßigkeit zu wahren. Längst gibt es Drohungen aus dem Regierungsapparat, Washington könnte sich veranlasst sehen, keine Offensivwaffen mehr zu liefern. Es ist ein fast unmöglicher Balanceakt. Biden muss auf die linke, israelkritische Basis zugehen. Deren Enthaltung im November würde ihn schwer treffen. Er darf aber nicht diejenigen vor den Kopf stoßen, für die die Demokraten seit Jahrzehnten die genuin proisraelische Stimme in Washington sind. Netanjahu will einen Keil in die Partei treiben. Und die Republikaner danken es ihm.
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