#Kost für den König und den Bettelmann
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„Kost für den König und den Bettelmann“
Man muss sich entscheiden, ein Sowohl-als-auch kann es nicht geben: Liebe oder Abscheu, Himmel oder Hölle, Lust oder Leid. Eine andere Wahl lässt uns die Auster nicht, die verschlungen oder verschmäht, gleich im Dutzend oder niemals im Leben gegessen wird, die Gemüter und Geschmäcker so radikal spaltet wie wohl nichts anderes Essbares und auch sonst ein Wunder der Widersprüche ist.
Sie war jahrhundertelang die Leibspeise von Kaisern und Königen und rettete zugleich Millionen armer Teufel vor dem Hungertod. Sie ist eines der gesündesten Nahrungsmittel überhaupt und kann die Gesundheit eines gestandenen Menschen binnen Minuten ruinieren, wenn sie selbst nicht gesund ist. Sie wird als zuverlässigstes Aphrodisiakum gepriesen und führt selbst das langweiligste Liebesleben. Sie hat ein so friedliches Gemüt, dass sie keiner Alge etwas zuleide tut, und ist doch für einen der brutalsten Eroberungs- und Verdrängungsfeldzüge im Tierreich verantwortlich. Wie viel ärmer wäre die Welt ohne dieses phantastisch ambivalente Wesen!
Lieblingskost des Frauenverschlingers
Eine Delikatesse der höchsten Stände war die Auster seit der Antike. Der Tagesrekord des römischen Imperators Vitellius soll bei vierhundert Exemplaren gelegen haben. Von seinem Kaiserkollegen Trajan weiß man, dass er sich die Schalentiere eis- und schneegekühlt während eines Feldzugs bis nach Persien nachschicken ließ. Auch die Austernsucht von Plinius dem Älteren ist historisch verbürgt. Ludwig XIV. wiederum soll seine Manneskraft vor der Hochzeitsnacht mit Maria Teresa von Spanien dank Hunderten von Austern gestärkt haben. Casanova brüstete sich damit, vierzig Austern täglich zu essen, um die Damen nicht enttäuschen zu müssen.
Gesünder geht es nicht und schmackhafter auch nicht: Die Auster ist wie kaum eine zweite Delikatesse ein reines Naturprodukt.
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Bild: dapd
Zum Glück wussten die beiden hohen Herren nicht, dass die Auster selbst alles andere als ein Musterbeispiel an Virilität, sondern ein Hermaphrodit ist, der sein Geschlecht je nach Bedarf wechseln kann. Und weder der Sonnenkönig noch der Frauenverschlinger nahmen Anstoß daran, dass Austern, vor allem die kleinen, verwachsenen Exemplare, lange Zeit auch ein Arme-Leute-Essen waren. Auf dem Kupferstich „Die magere Küche“ vom älteren Pieter Brueghel fischen ausgemergelte Gestalten mit Hungerleidergesichtern Austern aus einer großen Schale.
Charles Dickens fand es 1836 bemerkenswert, dass Armut und Austern immer zusammengehören. Und im New York des späten neunzehnten Jahrhunderts wurden Austern als preisgünstiger Straßenimbiss und Hot-Dog-Konkurrent verkauft. Mehrere Milliarden Exemplare sollen allein in den Vereinigten Staaten zu jener Zeit Jahr für Jahr geschlürft worden sein.
Die Folter des Restaurantkritikers
Mit der globalen Austernorgie war es vorbei, nachdem die natürlichen Vorkommen der Schalentiere durch Raubbau und rabiate Fischfangmethoden mit riesigen Bodenschleppnetzen drastisch reduziert worden waren. Seither sind die Austern ein Luxusprodukt, das nicht nur bei vielen menschlichen Feinschmeckern hochgeschätzt ist – Stachelschnecken bohren mit ihrer Raspelzunge ein Loch in die Schale, Krebse knacken sie mit ihren Scheren, Seesterne brechen sie mit den Armen auf, denn auch sie wissen, dass Austern mindestens genauso nahrhaft wie schmackhaft sind.
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