#Kreatives Schreiben? Alles Lüge!
Inhaltsverzeichnis
„Kreatives Schreiben? Alles Lüge!“
Ein gefälligerer Titel ließe sich kaum finden: „Liebesheirat“ klingt nach Schnulze, nach der Romeo-und-Julia-Geschichte einer unbedingten Liebe, welche alle Hindernisse, die sich ihr entgegenstellen, glücklich überwindet und, anders als bei Shakespeare, dann mit Glockengeläut endet. Doch bei Monica Ali muss man diesen Titel zweimal lesen, um allmählich zu begreifen, welcher Abgrund in ihm lauert: Ihr Roman erkundet furchtlos, ob und wie die beiden Worthälften, die das Kompositum zusammenzwingt, jemals zueinander finden und was Liebe überhaupt mit Heiraten zu tun hat.
Dazu beginnt er an jenem Punkt der Handlung, wo Geschichten sonst so gerne schließen: mit der Planung einer Hochzeit. Yasmin ist 26, Ärztin im Praktischen Jahr, Tochter einer bengalischen Immigrantenfamilie im zeitgenössischen London und verlobt mit Joe, ihrem Studienfreund und Krankenhauskollegen. Der Familienhintergrund der beiden könnte unterschiedlicher nicht sein: Joe, dreißigjährig, kommt aus dem wohlsituierten linksliberalen Londoner Norden, wo er mit seiner alleinerziehenden Mutter zusammenlebt, einer feministischen Aktivistin und Expertin für befreiten Sex (Letzteres bei Yasmins Eltern ein Anathema; schon bei Zungenküssen schalten sie den Fernseher aus). Doch er ist Arzt, genau wie Yasmins Vater, und daher für ihr traditionsbewusstes Elternhaus als Schwiegersohn noch akzeptabel, wenngleich ihre Mutter einen guten muslimischen Jungen wohl bevorzugt hätte.
Ein unvereinbares Paar
Die erste große Szene des Romans spielt mit Genuss die Gegensätze aus. Joes Mutter lädt zum Abendessen, damit die angehenden Schwiegereltern sich endlich zwanglos kennenlernen können. Da lässt es Yasmins Mutter sich nicht nehmen, zu diesem Anlass mit Stapeln von Tupperdosen anzurücken, um ihre selbst gemachten bengalischen Spezialitäten vorzuführen, die auch fürs große Hochzeitsmahl geeignet sind. Dies wiederum bringt Joes Mutter auf die passende Idee, die vermeintliche Familientradition dadurch zu wahren, dass die Eheschließung mit Imam nach islamischem Brauch zelebriert wird – ganz und gar nicht im Sinn der Beteiligten. Doch was hier wie eine konventionelle Multikulti-Clash-Komödie einsetzt, nimmt schon bald, ganz unerwartet, andere Wendungen. Kurz vor Ende des Romans sind sämtliche Gewissheiten, mit denen er begonnen hat, zerbrochen. Yasmin steht vor der Frage, ob Liebe jemals etwas anderes meint als bloße hormonelle Reaktion. Und von Heirat ist schon lange keine Rede mehr.
Monica Ali, „Liebesheirat“, aus dem Englischen von Dorothee Merkel
1. Auflage 2022, 592 Seiten, 25 Euro.
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Bild: Klett-Cotta
Es ist Alis Erzählkunst zu verdanken, dass sie uns die drastische Zerfallsgeschichte, die ihr Roman ebenso unerbittlich wie unterhaltsam ausbreitet, entschieden als Gewinn vermitteln kann: Gewinn nicht nur an Selbsterkenntnis für seine Protagonisten, sondern auch an Welterkenntnis für die Leserschaft, sofern es dieser nicht genügt, dass alles sich dem schönen Schema einer Liebeshandlung, die mit Trauring endet, fügt. Allenfalls für Fiktionales mag das taugen. Eines der früheren Kapitel trägt wie der Roman den Titel „Liebesheirat“. Darin lesen wir, dass Yasmin in jungen Jahren einmal eine Kurzgeschichte dazu schrieb, wie ihre Eltern sich ehedem in Kalkutta kennenlernten: der Vater ein mittelloser Straßenjunge vom Dorf, der sich mit Disziplin und Ehrgeiz zum Chauffeur hochgearbeitet hat und vom Medizinstudium träumt, die Mutter aus wohlhabendem Hause, die beiden dennoch ein verliebtes Paar. So war ihr die Begegnung selbst immer erzählt worden. Doch als sie die Geschichte, vom Lehrer in der Schule hochgelobt, dem Vater vorliest, weist er sie brüsk zurück – „Du hast über Sachen geschrieben, von denen du keine Ahnung hast. Von denen du überhaupt keine Ahnung haben kannst“ – und erklärt alles kreative Schreiben rundheraus zur Lüge.
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