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#Krise an der Grenze bedroht die EU doppelt

Krise an der Grenze bedroht die EU doppelt

Es ist gerade einmal zwei Wochen her, da warnte Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki die EU da­vor, einen „dritten Weltkrieg“ gegen sein Land zu beginnen. Derselbe Morawiecki spricht nun täglich darüber, dass Polen in der Krise an der belarussisch-polnischen Grenze in einem „hybriden Krieg“ die ganze EU verteidige, und dankt der Ge­meinschaft in warmen Worten für die Solidarität mit seinem Land. Das stößt auf Gegenseitigkeit: Die EU-Kommission, die Polens Regierung gerade noch einen Angriff auf die Grundlagen der EU vorgeworfen hat, beteuert nun bei jeder Gelegenheit, dass sie in der Auseinandersetzung mit dem belarussischen Machthaber Alexandr Lukaschenko fest an der Seite Warschaus stehe.

Die vom belarussischen Regime herbeigeführte Eskalation an der Grenze hat den Ton zwischen der pol­nischen Regierung und der EU von heute auf morgen von einem Ex­trem ins andere umschlagen lassen. Aber in der Sache, im Streit über die Rechtsstaatlichkeit in Polen, hat sich nichts verändert. Die Regierung in Warschau macht keine Anstalten, die Unabhängigkeit der Justiz wiederherzustellen. Im Gegenteil – sie be­rei­­tet offenbar weitere Säuberungen der Gerichte von missliebigen Richtern vor. Und das Verfassungsgericht, das im Oktober befunden hat, dass der EU-Vertrag in wesentlichen Punkten in Widerspruch zur polnischen Verfassung stehe, wird sich En­de November mit der Frage befassen, ob gleiches auch für die Europä­ische Menschenrechtskonvention gilt.

Lukaschenko will die EU in eine ausweglose Lage bringen

Die Zeit der freundlichen Worte zwischen Polen und der EU wird da­her nicht lange währen. Dieses grotesk wirkende Oszillieren zwischen Attacken und Solidaritätsbekundungen innerhalb weniger Tage legt of­fen, dass die EU in Polen gerade gleichzeitig von innen und von außen bedroht ist. Denn es ist ja beides richtig: Das von Lukaschenko mit ungeheurer Menschenverachtung inszenierte Drama an der belarussisch-polnischen Grenze ist eine Attacke auf die ganze EU, bei dem Polen An­spruch auf die volle Unterstützung der Gemeinschaft hat – während zu­gleich der Angriff der polnischen Re­gierung auf die Unabhängigkeit der Justiz das Funktionieren der EU so fundamental gefährdet, dass diese ei­gentlich nicht mehr anders kann, als Polen die finanzielle Unterstützung zu entziehen.

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Diese Konstellation macht den Konflikt an der belarussisch-polnischen Grenze noch brisanter, als er ohnehin ist. Die kaum lösbar scheinende Auseinandersetzung zwischen der EU und der polnischen Regierung und die Selbstisolierung Polens in der EU dürften der Grund sein, weshalb Lukaschenko den Hauptstrom der Migranten an die Grenze zu Polen lenkt und nicht zu den kleineren Nachbarn Litauen und Lettland. Bei Polen ist die Aussicht am größten, die vorhandenen Risse in der Migrationspolitik zwischen den EU-Staaten zu vertiefen – oder die Eu­ropäer durch die Provokation ei­ner menschlichen Katastrophe bloßzustellen.

Lukaschenko hat mit dem Vorgehen gegen das eigene Volk schon ge­zeigt, dass ihm Leben und Gesundheit von Menschen nichts gelten. Sollte er außer Rachegelüsten wegen der von der EU gegen ihn verhängten Sanktionen überhaupt so etwas wie einen Plan haben, dann liegt er darin, die Europäer in eine Lage zu bringen, aus der sie ohne Gesichtsverlust nicht herauskommen: Öffnen sie die Grenzen, dann geben sie ihm nach – was er nach dem Vorbild des Kremls (und zu dessen Genugtuung) als Aufforderung zu einer weiteren Eskalation ansehen würde. Das Leiden an der Grenze würde nicht aufhören, sondern mehr Menschen betreffen.

Sieht die EU hingegen zu, wenn we­nige Meter vor ihrer Außengrenze unter den Augen des Grenzschutzes eines ihrer Mitgliedsländer Menschen reihenweise elendiglich an Er­schöpfung, Auszehrung und Kälte sterben, zieht er sie gewissermaßen auf sein Niveau herab. Es ist kein Zu­fall, dass die russische Propaganda genau in diese Kerbe schlägt, seit sie sich des Themas in den vergangenen Tagen angenommen hat. So lässt sich der Einsatz der EU für Menschenrechte in Russland, Belarus und anderswo wunderbar diskreditieren.

Noch komplizierter wird die Lage dadurch, dass die polnische Regierung sich auf Lukaschenkos Logik einlässt, den Schutz der Grenze vor allem in militärischen Kategorien sieht und sich humanitären Schritten verweigert. Dabei müsste nun mit aller Kraft nach Wegen gesucht werden, möglichst viele Migranten aus der Falle zu retten, in die Lukaschenko sie gelockt hat, ohne dabei sein Spiel zu spielen. Hört man bei den gegenseitigen Solidaritätsbekundungen der vergangenen Tage genau hin, dann sind in dieser Frage Risse zwischen Warschau und Brüssel auszumachen, die zusätzlich zum Streit über die Rechtsstaatlichkeit jederzeit offen aufbrechen können. Die doppelte Bewährungsprobe der EU im Osten beginnt gerade erst.

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