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#Tausend verschmelzende Sonnen

„Tausend verschmelzende Sonnen“

Man kann John Lennon schon verstehen. Nachdem er das Buch zerrissen hatte, das ihm Yoko Ono mit der Bitte schenkte, es nach dem Lesen zu zerreißen, meinte er: „Das war das beste Buch, das ich je zerrissen habe.“ Gott sei Dank erscheinen Bücher ja meist in größeren Auflagen und eher selten als singuläre Exemplare. So lässt sich auch mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Erscheinen der englischen Ausgabe von Yoko Onos Instruktionen und Zeichnungen unter dem Titel „Grapefruit“ noch nachvollziehen, was John zu der euphorischen Aussage verleitet haben mag.

Der kleine, gelbe, quadratische Band ist in mehrere Kapitel unterteilt: Musik, Bilder, Ereignisse, Gedichte, Objekte, Film, Tanz, Architektur. Das schönste und eines der gedankenreichsten ist das Musikkapitel, sozusagen die Visitenkarte. Vermutlich hat John Lennon nur das gelesen und ist dann direkt zum Zerreißen geschritten. Denn da muss er schon gespürt haben, dass das mit den Kollegen Paul, George und Ringo nichts mehr werden würde.

Ein Apfel sagt „Kauf mich!“

Eigentlich hätte er es schon 1968 wissen können, als er wohl zufällig in eine Vernissage der Galerie „Indica“ in London geriet und auf einem Podest einen unberührten, jedenfalls nicht angebissenen Apfel als Ausstellungsstück mit der Aufforderung sah: „Kauf mich!“ – für zweihundert Pfund Sterling. John hat ihn nicht gekauft, aber er verstand, wie er später bekannte, was gemeint war. Die Rockmusikfans verstanden das schicksalhafte Treffen zwischen ihrem Idol und der Aktionskünstlerin auch, nur etwas anders als John Lennon – als Sündenfall des Rock ’n’ Rolls nämlich und als Ende einer Epoche mit den idealisierten Beatles. Und so kam es dann auch.

Zurück zu „Grapefruit“. Eindrucksvoll ist die Anleitung zum Theaterstück „John Lennon als junge Wolke“. In der ersten Szene soll Johns Kopf geöffnet und wieder geschlossen werden, in der zweiten die Köpfe anderer Personen. In der dritten Szene schließlich soll man den Himmel öffnen und wieder schließen. Das lässt fürwahr Spielraum. Bemerkenswert ist auch das „Geheime Stück“. Man solle durch einen Ton signalisieren, dass man spielen möchte, heißt es da.

Und weiter: „Spiele mit folgender Begleitung: mit den Wäldern von fünf bis acht Uhr morgens, im Sommer.“ Das eröffnet naturgemäß Perspektiven. Das „Körperstück“ aus dem Tanzkapitel dürfte auch so manchen Interpreten inspirieren: „Stehe im Abendlicht, bis du durchsichtig bist oder einschläfst.“ Drei Musikstücke wären für manche Künstler freilich fast schon so etwas wie Langzeittherapien gegen Publikumsbeschimpfungen. Für Keith Jarrett etwa. „Schnarchstück: Höre ein paar Leuten beim Schnarchen zu; bis es dämmert.“ „Lachstück: Lache eine Woche lang.“ „Hustenstück: Huste ein Jahr lang.“

Viele dieser Kompositionen sind im übrigen seit den Sechzigerjahren aufgeführt worden, in New York, London oder Tokio. Beim „Touch Piece“ soll es in London einmal zu einer schönen Reaktion des Publikums gekommen sein, das kollektiv den berühmten Colonel-Bogey-Marsch aus dem Film „Die Brücke am Kwai“ pfiff. Dass manche Stücke noch immer der Uraufführung harren, kann man freilich verstehen. Das „Tunafish Sandwich Piece“ wohl auch. Dabei soll man sich eintausend Sonnen am Himmel vorstellen und sie eine Stunde lang scheinen, dann verschmelzen lassen. Das Stück endet, indem man ein Thunfisch-Sandwich nimmt und isst.

Yoko Ono hat in den fast siebzig Jahren ihrer Künstlerkarriere nach der Devise gearbeitet, die sie für ihr „Sense Piece“ formulierte: Der gesunde Menschenverstand hindert dich am Denken. Heute wird sie neunzig Jahre alt. Zu ihren Ehren zerreißen wir jetzt unser gut gehütetes Exemplar von „Grapefruit“.

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