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#Leerstand in den Städten: Die Ruinen der Zukunft

Leerstand in den Städten: Die Ruinen der Zukunft

Bei großen Krisen gibt es immer zwei Lager – die einen sagen, nun werde nichts mehr sein wie zuvor, und die anderen halten das für hysterisch und verweisen darauf, dass Gewohnheiten, Bedürfnisse und Rituale von solchen Einschlägen letztlich höchstens graduell verändert werden. Nach den Anschlägen am 11. September 2001 wurde prophezeit, dass es nun mit dem Zeitalter des Hochhauses vorbei sei; aber dann wurde das Geld, das nach dem Zusammenbruch der New Economy neue Anlageplätze suchte, in die Baubranche gepumpt, und es entstanden in den folgenden Jahren so viele Hochhäuser wie nie zuvor, selbst in New York ragten plötzlich provokant hohe, aberwitzig dünne Luxuswohntürme wie ausgestreckte Mittelfinger in den Himmel über Manhattan. Die große französische Tageszeitung Sud Ouest fürchtete noch im Sommer 2020, dass Covid dem französischen Bisou, dem rituellen Begrüßungskuss, für immer ein Ende machen würde, ein Jahr später sieht man, dass das Bedürfnis nach Küsserei den Virus offenbar sehr robust überlebt hat.

Und die Stadt? Sieht erst mal wieder aus wie vor der Pandemie: Cafés offen, Gedränge an den Bars. Trotzdem ist etwas anders. Wer in Frankfurt über die Zeil, in Hamburg über die Mönckebergstraße oder in Berlin durch die Friedrichstraße läuft, sieht leere Geschäfte. Schon in den vergangenen zehn Jahren haben die Kaufhäuser über 40 Prozent ihres Umsatzes verloren, der Onlinehandel verwandelt die Kaufhäuser der Innenstädte nicht nur wegen Corona in Ruinenparks.

Bürotürme stehen leer

Gleichzeitig berichtet der Immobilienspezialist Jones Lang LaSalle, dass bei Büroimmobilien die Nachfrage, gemessen an der Fläche, 2020 in den sieben großen deutschen Städten um dreißig Prozent zurückging, in Stuttgart sogar um mehr als 50 Prozent, und der Markt erholt sich nur leicht. Die Zeit, in der Bürotürme aus dem Boden gestampft wurden – allein 2019 waren es in den sieben größten deutschen Städten 1800 Neubauten –, ist vorbei. Auch in Paris, London und Barcelona lagen die Rückgänge bei mehr als 40 Prozent, in Frankfurt steht fast eine Million Quadratmeter Bürofläche leer. Natürlich sagen Immobiliendienstleister, dass der Platzbedarf gar nicht so sehr schrumpft, weil in Zukunft zwar mehr von zu Hause gearbeitet werden wird, dafür aber in den verbleibenden Bürobauten mehr Meeting- und Rückzugsräume gebraucht würden – aber vielleicht ist das auch das berühmte Pfeifen im Wald: Niemand bei den Büroentwicklern (und auch niemand bei der Deutschen Bank oder bei Volkswagen) wird sagen, sorry, das war’s, wir sind raus.

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Die Smart-City-Planer und die Autokonzerne stehen trotz allem wie uneinsichtige Verkäufer am Wegesrand und rechnen hartnäckig vor, wie viel Zeit und Energie man mit ihren vernetzten Apps und Geräten und vollelektrischen und autonomen Solutions auf dem Weg von zu Hause in die Innenstadt spart – aber keiner fragt, was man in der Innenstadt eigentlich überhaupt noch wollen könnte, wenn das, was sie über Jahrtausende ausmachte, verschwindet: Wenn dort nicht mehr gearbeitet wird, weil die Fabriken robotisiert und die Büros ins Homeoffice verlegt werden; wenn dort nicht mehr eingekauft wird, weil alles online bestellt wird; wenn dort keiner mehr ins Kino geht, weil alle Netflix schauen. Die Krise hat auch den Schwachpunkt der Smart-City-Visionen gezeigt: Sie fragten nur, wie man den Status quo via Technologie effizienter und sparsamer macht, und nicht, was man statt des Status quo eigentlich noch wollen könnte.

Es fehlt an Wohnraum

Was wird mit den Ruinen der Zukunft, den leeren Shoppingmalls, den leeren Bürotürmen, den leeren Kinos passieren? Sie können umgebaut werden: An Wohnraum fehlt es ja, und wenn das Büro und das Kino nach Hause kommen, braucht man dort eigentlich ein bisschen mehr Platz. Ist es wirklich schade, wenn Ketten wie H&M nicht mehr in den Fußgängerzonen zu finden sind, wenn Verkäuferinnen nicht mehr im Akkord kassieren müssen, wenn die übermüdeten Familienväter, die in den Türmen arbeiten, nicht mehr morgens hupend und mit ungesundem Blutdruck eine Stunde im Pendlerstau stehen? Vielleicht sorgt ausgerechnet der Kapitalismus, der die Bürotürme und die Einkaufszentren wachsen und die Preise für den knappen in der Innenstadt verbleibenden Wohnraum in die Höhe schießen ließ, durch die digitale Effizienzsteigerung, durch die Erfindung von Onlinehandel und Homeoffice, den Abzug all dieser Funktionen aus dem physischen Raum der Innenstadt dafür, dass dieser zur Ruine wird, seinen ökonomischen Wert verliert und deswegen neu und entspannter und ohne übertriebene Gewinnerwartungen besiedelt werden kann, so wie das Kolosseum in Rom und Paläste im Mittelalter zu Wohnanlagen umgebaut wurden. Der Leerstand kommt wie gerufen in einer Zeit, in der aus Klimaschutzgründen nicht mehr so viel neu gebaut werden soll.

Vielleicht muss man sich die Stadt wie ein Kaleidoskop aus leeren Büros und Einkaufsbauten und überfüllten Wohnkisten vorstellen, bei dem bald die Steinchen ordentlich durcheinanderpoltern und Büros und Werkstätten und Wohnen zusammenfallen zu neuen, entspannten Mischformen, in denen Arbeiten und Leben und Wohnen und Produzieren und Konsumieren neu sortiert werden. Bisher sah die moderne Stadt aus wie ein deutsches Mittagessen, alles war fein voneinander getrennt – hier das zentrale Fleisch, dort eine Siedlung von Kartoffeln, eine Vorstadt aus Rosenkohl. Ein bisschen mehr mediterrane Durchmischung, Überwucherung, Amalgamierung, und ja: Chaos könnte beiden ganz gut bekommen.

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