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#Leiser Spott für Schwärmerei

Als der junge Mann in die fremde Stadt kommt, wo er, wie er meint, dank Protektion die einflussreiche und bestens bezahlte Stelle bei der Regierung schon in der Tasche hat, läuft er abends noch durch die neue Umgebung, die ihm Heimat werden soll. Der Mond steht am Himmel, aus den Fabriken kommen „jauchzend“ die Arbeiter, Mädchen ziehen fröhlich plaudernd durch die Straßen, in den Häusern wird „froh und lebhaft kauend“ das Abendbrot gegessen, und jener junge Mann namens Siegmund ist im Anblick der Stadt „mit sich und seinem Schicksale außerordentlich zufrieden.“

Am nächsten Tag stellt der Bewerber fest, dass er den Präsidenten, der über die Stelle entscheidet, unwissentlich am Vortag öffentlich bloßgestellt hatte und zudem ein anderer noch engere Verbindungen zur Macht hat und deshalb statt seiner im Amt angestellt werden soll. Auch die Stadt trägt nun ein anderes Gesicht: „Siegmund stieß an manche Lastträger, die ihm ihre Flüche nachschickten; Kutscher schimpften von ihrem Bocke herunter, weil er ihnen zwischen die Pferde lief; eine alte Frau fing ein jämmerliches Geheul an, weil er ihr einige Töpfe zerbrochen hatte, die er in der zerstreuten Eil mit dem sechsfachen Preise bezahlte.“ Siegmund, der am Vorabend noch eine Stadt und eine Gemeinschaft von Menschen sah, in die er sich bestens einzufügen glaubte, ist jetzt nur noch allen im Weg. Und seufzt: „O hätte ich nur meine gestrigen Empfindungen zurück!“

Mit großer Freiheit und eigener Färbung

Als Ludwig Tieck die Erzählung „Die beiden merkwürdigsten Tage aus Siegmunds Leben“ schrieb, war er Anfang Zwanzig und bereits dabei, den Literaturbetrieb als Grundlage für den Broterwerb zu nutzen. Seine ersten Schritte auf diesem Gebiet hatte der heute vor 250 Jahren geborene Sohn eines berliner Seilermeisters bereits als Schüler zurückgelegt, als er den Kolportageroman eines seiner Lehrer auf dessen Bitte hin für ihn mit einem Schlusskapitel versah. Es folgte ein Studium, das Tieck nach wenigen Semestern abbrach. Das Angebot, für den Verleger Nicolai dessen Almanach „Straußfedern“ fortzuführen, war dann entscheidend für Tiecks Karriere als professioneller Autor: Der junge Mann bezog eine eigene Wohnung in Berlin, übernahm wie seine beiden Vorgänger als Herausgeber Stoffe aus französischen Vorlagen und erzählte sie auf deutsch nach, allerdings mit großer Freiheit und eigener Färbung.

Ludwig Tieck: „Wilde Geschichten“. Herausgegeben von Jörg Bong und Roland Borgards.


Ludwig Tieck: „Wilde Geschichten“. Herausgegeben von Jörg Bong und Roland Borgards.
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Bild: Verlag

Nicht alle Geschichten in den von ihm verantworteten „Straußfeder“-Bänden stammen von Tieck, aber bei denjenigen, die er viele Jahre später teils überarbeitet in seine Werkausgabe übernahm kann man seine Autorschaft annehmen. Sie zeigen einen bei aller Jugend belesenen Schriftsteller, der sich ausprobiert, literarische Techniken adaptiert und eigene erfindet, der sich an den Erwartungen des Publikums und des Verlegers Nicolai orientiert und zugleich seinen Spielraum listig erweitert. Vollständig liegen Tiecks „Straußfeder“-Beiträge in einer dreibändigen Ausgabe des Golkonda-Verlags vor.

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