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Letzte Ruhestätte für römische Reittiere

Bei Ausgrabungen in Stuttgart haben Archäologen mehr als 100 Pferdeskelette aus der Römerzeit entdeckt. Das Areal in Bad Cannstatt ist damit der größte römische Pferdefriedhof Süddeutschlands. Die dort vergrabenen Pferde waren einst Reittiere einer römischen Reitereinheit, die einige hundert Meter entfernt in einem Kastell am Hallschlag stationiert war. Der Fund unterstreicht die Bedeutung des antiken Bad Cannstatt als römischem Militärstützpunkt.

In der römischen Kaiserzeit wurden bei Feldzügen nicht nur Fußtruppen gegen gegnerische Heere eingesetzt, sondern auch berittene Soldaten. Sie hatten die Aufgabe, die Flanken der Fußtruppen zu schützen und die Feinde seitlich zu umreiten und in die Zange zu nehmen. Die dafür eingesetzten Reitereinheiten, sogenannte Alae, umfassten in der Regel 500 Mann mit deren Pferden. Meist waren diese Kavalleriesoldaten keine römischen Bürger, sondern stammten aus verbündeten Völkern oder den Grenzregionen des römischen Reichs. Diese Auxiliartruppen wurden vor allem in den Provinzen und entlang der römischen Grenzen stationiert.

Auch in Stuttgart-Bad Cannstatt existierte ab dem ersten Jahrhundert ein römisches Kastell mit solchen Grenztruppen. Der befestigte Militärstützpunkt diente gemeinsam mit fünf weiteren Standorten der Sicherung des Neckar-Odenwald-Limes sowie mehrerer Handelsrouten. Damit war das Kastell Cannstatt in der ersten Hälfte des. 2. Jahrhunderts nach Christus einer der wichtigsten römischen Militärstandorte im heutigen Südwestdeutschland. Zur Besatzung des Kastells gehörte damals auch eine römische Reitereinheit, das Ala I Scubulorum, mitsamt ihrer wahrscheinlich rund 700 Pferde.

Ausgrabungsareal
Blick auf das Ausgrabungsareal in Stuttgart – Bad Cannstatt. © Landesamt für Denkmalpflege Stuttgart/ ArchaeoBW

100 römerzeitliche Pferdeskelette

Was mit diesen römischen Militärpferden nach ihrer Dienstzeit geschah, verrät nun eine Entdeckung von Archäologen des Landesamts für Denkmalpflege Stuttgart und der archäologischen Firma ArchaeoBW. Sie hatten ab Juli 2024 im Vorfeld eines Neubauprojekts in einem Gebiet zwischen Düsseldorfer Straße und Bottroper Straße in Bad Cannstatt Ausgrabungen durchgeführt. Dabei stieß das Grabungsteam auf dem rund 70 mal 80 Meter großen Areal auf mehr als 100 Skelette von dort vergrabenen Pferden. „Die jetzt entdeckten Pferdeknochen wurden stichprobenartig anhand der Radiokarbon-Methode in das 2. Jahrhundert datiert“, berichtet die zuständige Archäologin Sarah Roth vom Landesamt für Denkmalpflege.

Der jetzt freigelegte Pferdefriedhof ist damit der größte seiner Art in ganz Süddeutschland, wie die Archäologen berichten. Wie groß dieser antike „Schindanger“ ursprünglich war, ist unbekannt. „Er war ursprünglich sicher ausgedehnter als das rund 70 mal 80 Meter große Areal, in dem die Skelette gefunden wurden“, sagt Roth weiter. In jedem Fall lag der römerzeitliche Pferdefriedhof in ausreichend Abstand zu Kastell und Siedlung, rund 400 Meter vom Stützpunkt der römischen Kavallerieeinheit im Kastell Cannstatt entfernt und rund 200 Meter von der benachbarten Zivilsiedlung.

Reittiere der Cannstatter Ala

„Aufgrund des archäologisch-historischen Kenntnisstandes zum römischen Bad Cannstatt lassen sich die Pferde der Reitereinheit zuweisen, die von zirka 100 bis 150 nach Christus auf dem Hallschlag stationiert war“, erklärt Roth. „Die Truppe mit knapp 500 Reitern dürfte einen Gesamt-Pferdebestand von wenigstens 700 Tieren gehabt haben, Verluste mussten dabei ständig ersetzt werden.“ Aus den Datierungen und Funden geht hervor, dass die Reittiere dieser Ala nicht alle gleichzeitig gestorben sind, etwa bei einer Schlacht oder durch eine Seuche. „Vielmehr liegen hier die Tiere, die während der Anwesenheit der Ala in Bad Cannstatt durch Krankheit, Verletzungen oder aus anderen Gründen entweder starben oder ihrer Aufgabe als Militärpferd nicht mehr nachkamen“, erklärt die Archäologin.

Die bereits gestorbenen Pferde wurden einzeln in flache Gruben geschleppt, wo sie auf der Seite liegend mit gestreckten oder angewinkelten Beinen begraben wurden. „Konnte das Pferd noch selbst laufen, wird man es auf den Pferdefriedhof gebracht und vor Ort getötet haben, um den schweren Kadaver nicht transportieren zu müssen“, sagt Roth. Aus der dichten, aber nicht überlappenden Platzierung der Gebeine schließen die Archäologen zudem, dass die bereits mit Pferdekadavern besetzten Gruben damals markiert waren – so verhinderte man, beim Aufgraben des Bodens auf Kadaver von bereits früher vergrabenen Pferden zu stoßen.

Pferd mit Grabbeigaben und ein verscharrter Mensch

Die meisten auf dem Pferdefriedhof gefundenen Tiere wurden ohne großes Aufheben im Untergrund verscharrt, es gab aber einige wenige Ausnahmen. So hatte man einem der Pferde zum Abschied zwei Krüge und eine kleine Öllampe mit in die Grube gelegt – eigentlich typische Grabbeigaben für einen Menschen. „Hier sehen wir eine besonders enge Verbundenheit des Besitzers zu seinem Pferd. Auch nach rund 1800 Jahren ist die Trauer über den Tod dieses einen Tieres noch ersichtlich“, sagt Roth. Weniger Wertschätzung als diesem Pferd wurde hingegen einem menschlichen Toten entgegengebracht, dessen Skelett die Archäologen zwischen den Pferdegräbern entdeckten. Er lag in Bauchlage und ohne Grabbeigaben in einer Grube. Die Archäologen vermuten, dass dieser Mann aus der Römerzeit ein Außenseiter war, der daher weit vom regulären Friedhof der römischen Siedlung entfernt verscharrt worden war.

Insgesamt bietet der neu entdeckte Pferdefriedhof den Archäologen die seltene Gelegenheit, einen genaueren Einblick in die Pferdenutzung der römischen Armee zu gewinnen. Sie planen bereits weitere archäozoologische Untersuchungen, die mehr Informationen über Geschlecht, Alter, Größe und Herkunft der römischen Reittiere liefern sollen. Auch Aufschluss über die Beanspruchung als Reittiere, mögliche Krankheiten und die Todesursache der Pferde könnte das Team durch ergänzende Analysen der Knochen gewinnen.

Quelle: Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart/ ArchaeoBW

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