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#Liebe ohne Maskenpflicht

Liebe ohne Maskenpflicht

Gib dem Menschen eine Maske, und er wird dir die Wahrheit sagen“, schrieb Oscar Wilde, der stilsicherste Seelenversteher. Das galt aber wohl nur für ein seinerseits maskiertes Zeitalter wie das viktorianische, in dem die Moral ein Repressionssystem kaschierte. In unseren Tagen ist es wieder umgekehrt, dient die Maske eher dem Verbergen insgeheimer Begierden. Wehe also, wenn sie fällt.

Zwar mag es unerkannt durchaus leichter sein, zur eigenen Abgründigkeit zu stehen, zu pompös stumpfer Frauenverachtung etwa, wie sie uns hier in einer schampeinlichen – die Jugend würde „Cringe“ sagen – How-to-Szene begegnet. Aber bald klaffen in diesem Seelenversteher-„Tatort“, der nach einem einigermaßen klassischen Buch von Arnd Mayer und Claudia Matschulla hinter die Fassaden alltäglicher Beziehungen von Kollegen, Freunden, Paaren und Familien blickt, doch noch ganz andere und glaubwürdigere Lebens- und Liebeslügen auf.

Dabei geht es in der konzentrierten Regie von Ayşe Polat insgesamt erholsam anders zur Sache, als man es aus Borderline-Dortmund gewohnt ist. Und eine solche Auszeit haben sie sich auch mehr als verdient, die über Jahre vom Schicksal gebeutelten, toughen Ruhrpott-Kommissare, allen voran der dauersuizidale Peter Faber (Jörg Hartmann) und die dauerunglückliche Martina Bönisch (Anna Schudt). Inhaltlich ist der Ausflug ins Herzkino nicht einmal unbegründet, hat doch Bönisch den Kollegen unlängst von seinen Dämonen (zumindest partiell) erlöst, indem sie den Mörder seiner Familie erschoss.

Für ihre Verhältnisse geradezu entspannt schwimmen nun beide eine gute Strecke weit synchron durch diese Episode: Faber kommt ohne cholerische Anfälle aus und erlebt ein kleines Liebesabenteuer, Bönisch setzt die Affäre mit dem immer aufdringlicher werdenden KTU-Kollegen Haller (Tilmann Strauß) fort. Die in der vergangenen Folge eingeführte Neue im Team, die so resolute wie einfühlsame Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger), wirkt zufrieden und ausgeglichen. Nur Ermittler Pawlak (Rick Okon) schaut traurig aus der Wäsche, weil seine drogenabhängige Ehefrau aus seinem Leben verschwunden ist. Rosa bespaßt liebevoll die verstörte Tochter.

Ein Geflecht aus übererfüllter oder enttäuschter Zuneigung

Eine Soap wird daraus dennoch nicht. Mayer und Matschulla buchstabieren vielmehr durch, unter welchen Druck Beziehungen geraten können, wenn in ihnen starke Machtgefälle bestehen. Natürlich fällt auch der Modebegriff „toxische Männlichkeit“, so angestaubt der bereits wirkt. Erzählerisch problematisch ist der angedeutete Ausflug – nicht der erste in der „Tatort“-Historie – in den für Journalisten wie Filmemacher offenkundig schwer faszinierenden Mythos der „Pick-up-Artists“, die mit geschickter emotionaler Manipulation Jagd auf Frauen machen sollen, um sie genau einmal ins Bett zu bekommen. Danach seien sie „wertlos“, heißt es. Hier ist gleich ein ganzes Seminar zu bestaunen, in dem ein solcher „Künstler“ seine Parolen herausposaunt: „Der Löwe frisst, wenn er Hunger hat.“ Bei diesem König der Löwen ging auch jener Streifenpolizist in die Lehre, den nun gleich zu Beginn des Films ein Wagen erfasst, zweimal sogar, also wohl mit voller Absicht.

Aber sexuelle Aggression bleibt ein Seitenthema. Im Zentrum des Plots steht vielmehr das originelle Dreiecksverhältnis von Faber, Bönisch und der undurchschaubaren Polizistin Katrin Steinmann (Anne Ratte-Polle). Steinmann ist nicht nur eine alte Polizeischul-Freundin Bönischs, sondern auch das Objekt der Begierde des sich bislang allenfalls für „lecker Pils“ und heimlich natürlich für Bönisch (die eigentliche Liebesgeschichte!) erwärmt habenden Ermittlers im Penner-Parka. In Steinmanns Abteilung wiederum arbeitete – und jagte – der überfahrene Streifenpolizist; auch ihre ebenfalls hier als Polizistin tätige, arg derangiert wirkende Tochter (Michelle Barthel) scheint dessen Charme nicht abgeneigt gewesen zu sein.

Am wenigsten von dem Hallodri-Leben geahnt hat wohl die schwangere Gattin (Kyra Sophia Kahre) des Toten. Diese ist die Ex-Freundin eines weiteren, ebenfalls mit seinen Gefühlen hadernden Kollegen (Jonas Friedrich Leonhardi) ihres Mannes. Alle Charaktere sind also in ein Geflecht aus übererfüllter oder enttäuschter Zuneigung eingewoben. Motive für die Tat haben alle und niemand. Irgendwann reißen sie einander die Masken herunter, und wir blicken einer mörderisch nackten Wahrheit aus Angst, Neid, Gier, Hoffnung, Verachtung und Einsamkeit ins Gesicht.

Die nah an den Figuren orientierte Kamera von Aljoscha Hennig macht aus diesem Plot ein subtiles Drama der vexierenden Blicke. Kaum ein Gegenblick führt in gerader Linie zurück. Meist trifft er vielmehr, leicht abgelenkt, auf eine andere Person. Auf diese Weise wird das Unsichtbare für uns erahnbar: ein ganzes Spinnennetz des Begehrens, in dem sich fast alle Figuren verfangen. Unaufdringlich nimmt die Kamera dazwischen eine nüchterne Beobachterposition ein, sei es aus der Tiefe des Raumes, sei es wie ein Zufallsblick aus Nachbars Garten durch einiges Geäst hindurch.

Von der Schnell-und-schmutzig-Ästhetik des Dortmund-„Tatorts“ der Ära Jürgen Werner (der das Team um Faber herum 2012 erfunden hat) ist das weit entfernt. Freunde des Kaputtnik-Charmes mögen milde enttäuscht sein, wie krimikonform es inzwischen zugeht. Auch wirkt „Masken“ dramaturgisch ein wenig überorchestriert. Psychologisch und filmisch aber ist dieser spannend erzählte Fall durchaus stark. Das inhaltlich vielleicht etwas steile, dafür emotional zugespitzte Finale vermag zudem zu überraschen. Und selbstverständlich bleibt Faber dann doch der Schmerzensmann des deutschen Krimis. Dafür lieben wir ihn ja.

Tatort: Masken , Sonntag, 20:15 Uhr, im Ersten

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