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#Lustig schwingt die Abrissbirne

Lustig schwingt die Abrissbirne

Wer in der Frankfurter ehemaligen Kleinbürgersiedlung Goldstein aufwächst, kennt sich mit Dauergeräuschen aus. Nur durch eine Schallschutzmauer getrennt, bewegen sich die Blechlawinen über die Autobahn A 5 von und zum Flughafen. Wem der Lärm nicht von der Seite zusetzt, hat ihn aus der Luft. Goldstein liegt in der Einflugschneise des internationalen Flugverkehrs. An die Siedlung im Stadtteil Schwanheim grenzt außerdem die Büro- und Schlafstadt Niederrad mit ihrer zuweilen brutalistischen Funktionsästhetik.

Nicht weit entfernt gibt es endlich Ruhe, freilich meist für immer, auf dem Waldfriedhof am Rand des Stadtwalds. Mehr Gegensatz von Transit und Stillstand an einem durch unzählige Menschen geprägten Ort geht kaum. Das klingt aufregend, aber das Gegenteil ist für die meisten der Fall, die statt dabei zu sein bloß mittendrin wohnen. Als Metapher und Topos für die Existenz von Leuten Anfang dreißig, bei denen aus großen Träumen kleine Brötchen geworden sind, taugt Goldstein noch mehr als das vor allem in Rapper-Fantasien besungene Offenbach.

Wobei Offenbach in der achtteiligen ZDFneo-Serie „Deadlines“ mehr als einmal als gegenkultureller Frankfurter Bezugspunkt auftaucht. Die dialogstarke Serie, die als Eröffnungsproduktion den neuen Comedy-Sendeplatz des Senders bespielt, handelt von vier übertrieben eigenwilligen Frankfurter Frauen Anfang bis kurz vor Ende dreißig. Elif (Jasmin Shakeri), Franzi (Llewellyn Reichman), Lena (Sarah Bauerett) und Jo (Salka Weber) waren zusammen auf der Goldsteiner Gesamtschule und nennen sich als Whatsapp-Gruppe nun „Goldstein-Girls“ – so etwas wie die „Golden Girls“ in Unbedarft.

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Vor fünfzehn Jahren haben alle außer Elif Abitur gebaut, sind in andere Stadtteile gezogen, bastelten an Lebensentwürfe und zimmerten Fassaden, die längst bröckeln, wurden vom Leben herumgeschubst oder haben einen obszönen Riesenhaufen „Para“ angehäuft wie Elif, die mit Versace-Klamotten, Goldcreolen so dick wie Panzerketten und ihrem Faible für „Haftbefehl“ und Kentucky Fried Chicken in der Londoner City Investmentkarriere gemacht hat. Mit Zahlen konnte sie schon immer, anders als Jo, der zwar alle Jungs hinterherliefen, die aber ihre Musikkarriere genauso verpatzte wie ihr Selbständigwerden. Jo heißt eigentlich Jolene, weil ihre Mutter, ehemals Stewardess, nun Alkoholikerin von Beruf, nicht nur größter Dolly-Parton-Fan aller Zeiten ist, sondern auch jeden Lookalike-Wettbewerb gewinnen könnte (Barbara Philipp mit einem denkwürdigen Auftritt).

Zu den Strukturierten der Schwesterngang gehört Lena, die seit der elften Klasse mit Marek (Markus Winter) zusammen ist und mit Talisa (Filippa Moeller) ein Pflegekind aus Offenbach angenommen hat, weil das im Gegensatz zum leiblichen Nachwuchs klimaneutral sei und es einer verbeamteten Deutsch- und Kunstlehrerin gut anstehe, Müttern in „prekären gesellschaftlichen Verhältnissen“ Vorbild zu sein. Lena vergisst selbst angesichts der Aufregung über mögliche Einbrecherinnen nicht den Glottisschlag. Lena macht alles richtig – könnten einige meinen – und leidet permanent unter bohrendem Zweifel. Soll die geplante vegane, gerechte Hochzeit mit minimalem CO2-Abdruck, sollen Kinderyoga und Musikunterricht, die Ablehnung der patriarchalisch geprägten Gottesvorstellung und die wöchentliche Ankunft des Gemüsekorbs alles sein? Hochzeitsfotograf Guillermo (Marcel Mohab) kann möglicherweise auf die Sprünge helfen.

Für die Letzte im Bunde, Pharmareferentin und Lifestyle-Influencerin Franzi, ist der Weg übersichtlich wie ein von Marie Kondo zurechtgeordneter Schrank oder ein frisch geduschter Bauchnabel. Eheschließung am 22. 2. 22. Zwei Kinder mit dem Chirurgen Stephan (Christoph Gawenda). Doodle-Listen und Hygienekonzepte bis in jeden Lebenswinkel. Störend bloß, dass die Kinderwunschklinik wenig Aussicht auf Nachwuchs gibt. Und dass Stephan sie verlässt, weil er ihren Geruch nicht mehr erträgt. Auch überall gewaschen. Als Elif, Jo, Lena und Franzi zum ersten Mal seit Jahren wieder aufeinandertreffen, geht die Post mit großen Lebensfragen ab.

„Deadlines“ ist als Comedy ansehnlich, was der mäßige, humoristisch übermotivierte Anfang nicht unbedingt erwarten lässt (Kamera Tobias Koppe, Regie Barbara Ott und Arabella Bartsch). Von der „Knallerfrauen“-Nummer trennen die vier Hauptrollen die plastische Figurenzeichnung sowie einige dramatische Wendungen und detaillierter Geschichtenhintergrund (Bücher Johannes Boss und Nora Gantenbrink). Die Besetzung ist stimmig. Insbesondere Jasmin Shakeri zeigt viele unterschiedliche Comedy-Facetten, von der Prolltussi über die Frau, die schneller schießt als ihr Schatten und eine „Engelsrufer“-Wahrsagerin im Astro TV nach Strich und Faden satirisch zerlegt, bis zur Ex-Liebenden, die einen verdrängten Lebensverlust beweint. Acht Folgen lang schwingt „Deadlines“ mit Vergnügen die Lebensmodell-Abrissbirne. Den Wiederaufbau würden wir auch gern sehen.

Deadlines, heute um 23.15 Uhr bei ZDFneo und in der Mediathek.

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