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#Mehr als ein Dach über dem Kopf

„Mehr als ein Dach über dem Kopf“

Die Worte sprudeln aus Boris Abramow heraus, so nimmt ihn das Schicksal seiner acht Jahre alten Tochter und ihrer Mutter mit. „Sie haben Videos geschickt, aus dem Bunker. Zwei Wochen haben sie dort ausgeharrt.“ Die beiden waren bis vor wenigen Tagen in Kiew, er selbst lebt seit Längerem in Deutschland. „Dann hieß es plötzlich raus, raus, sie hatten zwei Minuten“, erzählt er weiter. Mit drei Plastiktüten in der Hand hätten sie fliehen können. Über eine Brücke, die kurz darauf gesprengt worden sei. Der Bus habe sie nach Lemberg gebracht, und von dort seien sie elf Stunden lang Richtung polnische Grenze gelaufen.

Bernhard Biener

Korrespondent der Rhein-Main-Zeitung für den Hochtaunuskreis.

Abramow hat Tränen in den Augen, als er davon erzählt. Polnische Helfer hätten sie dann nach Krakau gebracht, und ein Freund in Berlin habe die beiden in einen Zug gesetzt. „Gestern Morgen sind sie in Bad Homburg aus dem Zug gestiegen.“ Das ist für den Elektroingenieur ebenso überwältigend wie die Hilfsbereitschaft hier. „Eine Stunde später hatten sie eine Notunterkunft in Friedrichsdorf, und nächsten Freitag kann meine Tochter in die Schule gehen.“

Mutter und Tochter sind unter den 20 Flüchtlingen aus der Ukraine, die beim Jüdischen Zentrum Bad Homburg Aufnahme gefunden haben. Die gut 400 Mitglieder gehören zwar zur Frankfurter Gemeinde. Doch vor gut drei Jahren haben sie in der Kurstadt eine eigene Synagoge bezogen, die jetzt auch ein Treffpunkt für die Hinzugekommenen ist. Dort werden sie an diesem Abend nicht nur von Rabbiner Shalom Rabinowitz willkommen geheißen, sondern auch vom Bad Homburger Oberbürgermeister Alexander Hetjes (CDU) und Sozialdezernentin Lucia Lewalter-Schoor (SPD).

Was die Verwaltung nicht leisten kann

„Schrecklich und furchtbar“ nennt der Rabbiner den Krieg in der Ukraine. Andererseits habe die Gemeinde in wenigen Tagen den Transport der Flüchtlinge organisiert, außerdem Matratzen und Wohnungen. „Es ist schön, wie die Leute in schwieriger Zeit für die Gemeinde einstehen.“ Aber auch die Stadt habe schon in den ersten Tagen den Kontakt gesucht, sagt Rabinowitz und bedankt sich. Hetjes verspricht seinerseits Unterstützung. „Aber was Sie bieten, die zwischenmenschliche Ebene, können wir als Verwaltung nicht leisten.“

Die Juden, die jetzt aus der Ukraine flüchten müssen, sind nicht die ersten. „2014 und 2015 kamen drei Familien aus Donezk und Lugansk“, berichtet Arthur Iliyav vom Gemeindevorstand. Sie seien hiergeblieben und hätten sich gut eingelebt und integriert. Einen Unterschied hat er festgestellt: „Diejenigen, die jetzt kommen, sind noch verzweifelter.“ Sie stammen aus Kiew, Odessa und den Provinzen im Osten der Ukraine. Unter den 20 sind sieben Kinder zwischen acht und 16 Jahren. Die Verständigung fällt ihnen nicht schwer: Sie treffen auf eine Bad Homburger Gemeinde, in der die meisten Mitglieder Russisch sprechen.

Wiedergeburt der jüdischen Gemeinde

Neben deutschen und amerikanischen gehörten ihr viele Juden an, die in den vergangenen Jahren aus allen Teilen der ehemaligen Sowjetunion hierhergekommen seien, sagt Iliyav. Dass darunter welche sein könnten, deren Sicht auf den Konflikt durch russische Propaganda geprägt ist, glaubt er nicht. Sie hätten es als Juden in Russland nicht einfach gehabt und oft Beziehungen nach Israel. Ihre Weltsicht sei eher nicht vom russischen Staatsfernsehen geformt.

Die Flüchtlinge aus der Ukraine kommen in eine Jüdische Gemeinde, die im vergangenen Jahrzehnt eine Art Wiedergeburt erlebt hat. 2011 wurde sie mit einer Chanukka-Feier auf dem Marktplatz erstmals wieder jenseits vom Gedenken an ihre Auslöschung in der Öffentlichkeit sichtbar. Sie bekam bald darauf eine neue Thorarolle gestiftet, und 2018 bezog sie die neue Synagoge in einem Bestandsgebäude. Dort wurde voriges Jahr der Grundstein für eine Mikwe gelegt, deren Beckenform schon erkennbar ist und die noch ausgekleidet werden muss. Im Juni gründete sich der Sportverein Makkabi Taunus. Schließlich soll die Gemeinde auf dem Friedhof im Stadtteil Ober-Eschbach ein Gräberfeld auf einer nicht benötigten Erweiterungsfläche bekommen. Nun könnte die Jüdische Gemeinde unfreiwillig weiter wachsen. Iliyav rechnet in den nächsten Tagen mit 20 bis 30 weiteren Menschen aus der Ukraine, für die eine Unterkunft gefunden werden muss.

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