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#Mehr künstliche Befruchtungen denn je

Mehr künstliche Befruchtungen denn je

Unsichere Zukunftsaussichten, eine sich schnell ausbreitende gesundheitliche Bedrohung, dazu Besuchsverbote im Krankenhaus – eigentlich gibt es gerade gute Gründe, um den Kinderwunsch erst einmal hintanzustellen. Doch die Realität in Deutschland sieht anders aus. Noch nie wurden so viele Paare in den deutschen Kinderwunschzentren behandelt wie im vergangenen Jahr. Das geht aus den neuesten Zahlen des Deutschen IVF-Registers hervor, dem nationalen Register für künstliche Befruchtungen (In-vitro-Fertilisationen).

Maja Brankovic

Maja Brankovic

Redakteurin in der Wirtschaft der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, zuständig für „Der Volkswirt“.

In der „Sonderauswertung Covid-19“, die der F.A.S. exklusiv vorliegt, wurden die Behandlungszahlen aus 113 der 131 deutschen Kinderwunschzentren – dazu gehören Unikliniken wie Praxen – im Jahresverlauf 2020 aufgeschlüsselt und mit der Vorjahresstatistik verglichen. Das Ergebnis: Wurden 2019 in diesen 113 Zentren noch rund 99.000 Behandlungen vorgenommen, stieg die Zahl im Jahr darauf auf gut 108.000 an. Das waren 9,3 Prozent mehr Behandlungen als im Jahr zuvor. Besonders gefragt waren die Zentren im Norden und Nordosten des Landes, in Berlin, Brandenburg, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Aber auch in Rheinland-Pfalz und im Saarland lagen die Behandlungszahlen über dem nationalen Durchschnitt. Im bisherigen Rekordjahr 2019 waren in allen 131 Zentren rund 110.700 Behandlungen durchgeführt worden – ein Wert, der nun mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit übertroffen wurde. „2020 wird trotz Corona ein weiteres Rekordjahr werden“, sagt deshalb Markus Kimmel, der Leiter der Geschäftsstelle des IVF-Registers.

An den Zahlen ist einiges bemerkenswert. Im Frühjahrs-Lockdown von Mitte März an zum Beispiel konnten viele Einrichtungen keine Behandlungen anbieten. Die meisten Unikliniken (17 von 19) fuhren ihren Betrieb herunter, auch jede vierte Praxis nahm in dieser Zeit keine neuen Behandlungen vor. Folgerichtig brachen die Behandlungszahlen in den Frühlingsmonaten März und April im Vergleich zum Vorjahr um fast 30 Prozent ein. Doch es folgte eine Gegenreaktion: Schon im Mai und Juni registrierten die Kliniken und Praxen eine Steigerung um 27 Prozent. In der zweiten Jahreshälfte lagen die Behandlungszahlen dann konstant weit über dem Vorjahresniveau.

Die Paare wollen nicht warten

Hinzu kommt, dass die Paare seit Beginn der Corona-Pandemie eigens eine Erklärung unterschreiben müssen, falls sie mit den Behandlungszyklen sofort beginnen wollen und nicht erst zu einem späteren Zeitpunkt. Die Kinderwunschzentren bieten an, die Behandlung nach der künstlichen Befruchtung der Eizelle entweder sofort weiterzuführen oder die Eizellen erst einmal auf Eis zu legen – und zwar so lange, bis die Paare selbst entscheiden, dass ein guter Zeitpunkt für einen Versuch gekommen sei. Die Eizellen nehmen dabei keinen Schaden, die Erfolgschancen der Behandlung werden davon also nicht berührt.

Die Behandlung auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben klingt in der Theorie gerade für die Anfangsphase einer Pandemie mit all ihrer Unsicherheit nach einer interessanten Option. In der Praxis sah es ganz anders aus. „In unserem Zentrum hat kein einziges Paar diese Option wahrgenommen“, sagt etwa der Leiter des interdisziplinären Kinderwunschzentrums Düsseldorf (Unikid), Jan-Steffen Krüssel. „Alle wollten die Behandlung sofort.“ Der Kinderwunsch sei größer als die Sorgen vor den gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie, meint der Mediziner.

Mehr Zeit und mehr Geld

Nach Ansicht der Fachleute spielen vor allem zwei weitere Gründe eine Rolle für den Anstieg der Behandlungszahlen: die neugewonnene Zeit und das übriggebliebene Geld. Einerseits hätten die Menschen zuletzt mehr Zeit für das Thema Kinderwunschbehandlung. Neue Homeoffice-Möglichkeiten, aber auch die Kurzarbeit erhöhten die zeitliche Flexibilität. Außerdem hatten viele Menschen trotz aller wirtschaftlicher Widrigkeiten unterm Strich im vergangenen Jahr mehr Geld übrig als in normalen Zeiten, etwa weil sie nicht mehr ausgehen konnten und ihre Urlaubspläne aufgeben mussten. Nach Daten der Bundesbank haben die Deutschen 2020 deutlich mehr gespart als im Jahr zuvor. Insgesamt ist das Vermögen der Gesamtbevölkerung auf einen neuen Höchststand gestiegen. „Das Geld, das sonst vielleicht in eine große Reise geflossen wäre, haben die Paare jetzt womöglich in die Kinderwunschbehandlung investiert“, sagt Unikid-Chef Krüssel.

Ob die Pandemie generell zu einem Babyboom führen wird, ist trotz der eindeutigen IVF-Zahlen nicht gesagt. Die bisherige Datenlage lässt darüber kein Urteil zu. Eine offizielle Statistik zu Schwangerschaften gibt es in Deutschland nicht. Auch die Geburtenziffern verraten noch nichts: Die ersten „Corona-Babys“ sind erst Mitte Dezember zur Welt gekommen, die Zahlen für das laufende Jahr werden erst 2022 vorliegen. Erste Indizien lassen sich indes aus den Abrechnungen der niedergelassenen Frauenärzte mit den gesetzlichen Krankenkassen ablesen: Darin ist kein landesweiter Babyboom zu erkennen.

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