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#Mein Mörder, mein Freund

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In der schönsten Szene des Films wäscht ein Mann seine Mutter. Felice legt Teresa vorsichtig in eine Wanne mit warmem Wasser, dann reinigt er ihren Körper mit einem Schwamm. Die Greisin weint, während er ihre Haare shampooniert. Danach hebt er sie wie ein Kind aus der Wanne und wickelt sie in ein Handtuch. Das Tuch trocknet auch ihre Tränen.

Felice (Pierfrancesco Favino) ist nach vierzig Jahren in seine Heimatstadt Neapel zurückgekehrt. Inzwischen hat er sich in Kairo ein zweites Leben aufgebaut, mit ei­ge­ner Firma und einer ägyptischen Ehefrau. In seinem Hotelzimmer betet er zu Allah. Beim Einkaufen ringt er nach italienischen Wörtern. Als er seine Mutter wiedersieht, ist sie aus der elterlichen Wohnung in ein dämmriges Gelass umgezogen. Er verschafft ihr eine neue Bleibe. Er lernt einen Priester kennen, der gegen die Camorra kämpft. Er kauft sich ein Motorrad und fährt durch die Stadt. Er versorgt seine Mutter. Dann stirbt sie.

Das ist die eine Geschichte, die Mario Martones Film „Nostalgia“ erzählt. Die andere, die mit ihr verflochten ist, handelt davon, dass Felice in Neapel eine Rechnung offen hat. Der Mann, der sie ihm stellt, ist ein Camorra-Boss im Stadtviertel Sanità, aber früher war er Felices Jugendfreund. Gemeinsam verübten die beiden kleine Gaunereien. Eines Nachts kam es zu einer Bluttat, Felice floh aus der Stadt, Oreste blieb.

Dass ihm Felices neuerliche Anwesenheit nicht entgangen ist, bemerkt der Heimkehrer spätestens, als sein Mo­tor­rad in Flammen aufgeht. „Hau ab!“ steht in roter Sprühfarbe auf seiner Zimmerwand. Von Balkonen und Hausdächern aus wird Felice beobachtet. Schließlich vertraut er sich dem Priester der Basilica Santa Maria an. Und er sucht den Kontakt zu dem Freund, der keiner mehr ist.

Was Felice bei Oreste genau sucht, wird in „Nostalgia“ nicht ganz klar. Will er sich mit dem Mörder versöhnen? Ihn der Polizei ausliefern? Oder nur sein Gewissen be­ru­hi­gen? Die Unklarheit über die Motive des Helden ist zugleich der Antrieb und die entscheidende Schwäche des Films. Sie hält die Geschichte in Gang, so lange sich Felice und Oreste noch nicht wiederbegegnet sind, und sie nimmt ihr jegliche Spannung, sobald das Treffen vorbei ist. Man merkt es an der Regie, die auf einmal alle möglichen Dinge zeigt, die für das Drama in „Nostalgia“ eigentlich unerheblich sind: eine Party im Hinterhof, ein Kirchenkonzert, eine Besichtigung der Katakomben von San Gennaro, die zu den Sehenswürdigkeiten von Sanità zählen. Man sieht es an den Kamerabildern Paolo Carneras, denen jene spontane Genauigkeit fehlt, die die erste Hälfte des Films geprägt hat. Vor allem aber erkennt man es am Gesicht des Schauspielers Pierfrancesco Favino.

Die Sehnsucht wirkt aufgesetzt

Favino hat zuletzt vielfach Männer mit gebrochenen Lebensläufen gespielt, in den Mafiafilmen „Il Traditore“ und „Suburra“ ebenso wie in dem Generationen­porträt „Auf alles, was uns glücklich macht“. Es ist dabei gerade die scheinbare Ungerührtheit seiner Züge, die ihn zur idealen Projektionsfläche für die Geschichten macht. Seine Figuren scheinen mit den eigenen Gefühlen nie ganz mitzukommen, sie sind ständig dabei, einen Ausdruck für das zu finden, was sie längst überwältigt hat.

In „Nostalgia“ dagegen wirkt Favino, je länger der Film dauert, immer verlorener in seiner Rolle. Die Nostalgie, die Sehnsucht nach dem Gewesenen, die der Filmtitel ihr zuschreibt, erscheint bei ihm jedenfalls ebenso aufgesetzt wie Felices plötzlicher Entschluss, sich in Neapel niederzulassen und seine Frau aus Kairo nachzuholen. Was man ihm abnehmen würde, wäre die Wut, die den Priester Luigi angesichts des Teufelskreises von Verarmung und Verbrechen beseelt, in dem das Viertel gefangen ist. Aber dieses Gefühl hat ihm der Regisseur Mario Martone nicht gegönnt.

Der Italiener Martone dreht seit mehr als dreißig Jahren Spiel- und Dokumentarfilme, von denen so gut wie keiner je in deutschen Kinos gelaufen ist. Dass „Nostalgia“ jetzt eine Ausnahme macht, liegt vermutlich daran, dass der Film nach seiner Premiere beim Festival in Cannes auch als italienischer Kandidat für den Auslands-Oscar angetreten ist. Was für ihn spricht, ist eine Optik, die sich von der retrospektiven Künstlichkeit eines Paolo Sorrentino („Die Hand Gottes“) ebenso wohltuend abhebt wie von den Hochglanzbildern der Tourismusindustrie. Was ihm ab­geht, begreift man in Deutschland nur zu genau: ein Drehbuch, das seine Vorlage (hier ist es ein Roman des Neapolitaners Ermanno Rea) nicht bloß nachbuchstabiert, sondern für die Leinwand neu erfindet. Dennoch macht es natürlich einen Unterschied, ob ein Film in Neukölln oder Bottrop scheitert oder unter den Pinien von Capodimonte. Man sieht es in jeder Einstellung. Auch ohne den Schleier der Nostalgie.

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