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#Metaphern gehören in den Staubsaugerbeutel

„Metaphern gehören in den Staubsaugerbeutel“

Am Theater Bremen – und daran musste man an diesem Premierenwochenende von Claire Croizés schöner Rockkonzert-Choreographie mal kurz denken, während ihr Tanz für die Bremer Company „Unusual Symptoms“ seine hinreißenden musikalischen und poetisch-phantastischen Qualitäten entwickelte, – auf dieser Bühne arbeitete vor vierzig Jahren Reinhild Hoffmann und brachte unter anderem ihr „Solo mit Sofa“ heraus, in dem das Abendkleid der Tänzerin mit dem Polstermöbel untrennbar verbunden schien: befremdend und interessant zugleich.

Das gesellschaftskritische Abarbeiten an Alltagsgegenständen und ihre Verrückung und entfremdete theatralische Nutzung war ein Topos in vielen Tanztheaterstücken jener Generation von Choreographen, und es ist erleichternd, festzustellen, dass diese komplizierte, aber oft auch banale Verwendung heute fast komplett aufgegeben scheint. Wahrscheinlich hat der Tanz das dem großen französischen Konzeptchoreographen Jérôme Bel zu verdanken, der nach Pina Bausch und Reinhild Hoffmann kam und in dem ersten seiner vielen lustigen Stücke, in „Nom donné par l’auteur“, die Metaphorik des Tanztheaters zunächst mit der Taschenlampe beleuchtete, dann mit dem Föhn trocknete und schließlich im Staubsauger verschwinden ließ.

Tanz ums Feuer der Bühnenscheinwerfer

Anne Teresa de Keersmaeker hält ihren Tanz requisitenfrei, aber die geometrischen Bahnen, auf denen ihre Tänze die musikalischen Bewegungen verschiedenster Jahrhunderte nachzeichnen, verlaufen entlang der alten Spuren des freien, des modernen Tanzes, aus dessen Erregungspotential sie schöpft. Croizé hat bei Keersmaeker studiert, und sie verehrt Bausch. Doch für „Fabula“ benennt sie die griechische Mythologie als Inspiration – was man erkennt, ist ein Spiel mit goldenen, roten und blauen Kostümen, bei dem mitunter allein das Ablegen einer Jacke den Habitus der Figur verändert.

Croizé will ein Theaterspielen zeigen, aber das schwingt in den Bewegungen mit, statt diese schwer in den Bedeutungsboden zu drücken. Die um die Spielfläche herum platzierte belgische Band „Zwerm“ (Schwarm) und die Schlagzeugerin Karen Willems treiben das tänzerische Geplänkel an, ihre Balladen, ihre Rocksongs, ihr introvierter, aber charismatischer Gesangsstil umfangen die Choreographie sensibel.

Claire Croizés  Rockkonzert-Choreographie „Fabula“, aufgeführt von der Bremer Company „Unusual Symptoms“


Claire Croizés Rockkonzert-Choreographie „Fabula“, aufgeführt von der Bremer Company „Unusual Symptoms“
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Bild: Jörg Landsberg

Das Intellektuelle an dieser Musik dämpfen die erdverbundenen Tänzer, die sich bewusst einfach geben, auch wenn sie aus dem Liegen in den Handstand hochkommen oder einen Kopfstand mit ausgestreckten Armen halten. Um einen Haufen Scheinwerfer auf der Bühne tanzen sie wie um ein Feuer, mit ausgestreckten Armen laufen sie barfuß wie Kinder, die Flugzeuge spielen. Sie galoppieren wie der Hofnarr, der ein Pferd nachmacht, um den König zu unterhalten. Sie schleudern ihre ganze Energie aus den Armen nach vorne auf die Bühne, bevor sie sich zu Prozessionen und Schreittänzen finden. Sie sind Krieger, Reiter, Hobbits, sie schliddern bäuchlings und drängen sich durch die Zuschauer, als müsste der Tanz überall herausquellen und hineinfließen – wie Musik das kann. Was für ein Konzert.

Keine fünfzig Kilometer entfernt, bei den Oldenburger Tanztagen, traten am selben Wochenende „Système Castafiore“ auf, eine im französischen Grasse arbeitende, von Karl Biscuit und Marcia Barcellos 1989 gegründete Compagnie. Er komponiert und arrangiert die Musik und macht die wundervollen Videos, sie choreographiert und inszeniert das Geschehen. Ihr Universum ist bevölkert mit einem Tanz, der aus dem Comic, dem Zeichentrickfilm, dem Zirkus, der Akrobatik kommt, einem Tanz, der die komischen und magischen Variationen des Alltäglichen allein durch sein Timing erzeugt.

„Théorie des Prodiges“, „Theorie der Wunder“, ist malerischer, poetischer, und wissenschaftlicher als „Récit“, es ist ein bisschen wie eine illustrierte Vorlesung über die Entstehung unserer Welt und den Sinn des Lebens konzipiert. Aber der an einem unsichtbaren Seil fliegende und tanzende gefallene Engel ist so berückend schön wie ein ganzer Theaterabend von Ariane Mnouchkine, die an Aliens erinnernden Erscheinungen anderer Kapitel sind so phantastisch wie die besten Star-Wars-Episoden. Was für ein herrlicher Aufwand, was für ein kulturgeschichtlicher Beziehungsreichtum. Man braucht keine große Theorie des Système Castafiore. Wir wollen einfach noch mehr Manifestationen desselben in immer neuen Variationen: Encore!

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