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#Mit Ivo Andrić nach Višegrad: Lektüren für den Sommer

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Die Gewehrläufe waren noch heiß und die Minen frisch gelegt, als Peter Handke 1995 von der anderen Seite an die Drina kam, von der serbischen Provinzstadt Bajina Bašta aus, nicht von Sarajevo. In seiner „Winterlichen Reise“ versucht er vergeblich, aus dem sanktionsgebeutelten Restjugoslawien, in dem Benzin aus Plastikflaschen fließt, den Grenzfluss nach Bosnien zu übertreten. Ein Polizist weist ihn und seine Freunde zurück. Er kann nur von hüben über den Nebel der Drina in das vom Krieg zerrissene Land blicken. Später, im „Sommerlichen Nachtrag“, schafft er es dann doch hinüber und sieht rund fünfzig Kilometer flussabwärts in Višegrad die berühmte alte Brücke über die Drina. Und eine leere, lebensleere Stadt. Aber die Brücke steht immer, egal, wem die Stadt gerade gehört, wie bei seinem Nobelpreisträger-Kollegen Ivo Andrić.

Im Winter bin ich zum ersten Mal von Sarajevo gen Osten nach Višegrad gefahren und habe mich gefragt, wie rasch man eine Hauptstadt hinter sich lassen kann. Denn sofort hinter dem zentralen Marktplatz und dem Rathaus von Sarajevo, in dessen Trümmern 1992 ein Cellist trotz Sniper-Angriffen 22 Tage lang für die Opfer des Krieges spielte, beginnt die Nichtstadt. Man blickt auf karge und kalte Gebirge hinter dem Willkommensschild der Serbenrepublik am rechten Straßenrand.

Von jetzt an steht die kyrillische Version der gleichen Sprache an erster Stelle auf den Straßenschildern. An renovierten orthodoxen Kirchen und Lebensmittelläden mit Leuchtreklamen für serbische Brauereien vorbei fahre ich weiter die Schlucht der Drina entlang. Bis zur bosnisch-serbischen Grenze wird der grünblaue Fluss immer breiter, bis er kurz vor Višegrad zum Stausee anwächst. Die Brücke ist das erste Anzeichen der Stadt. Von der Magis­trale aus gesehen verbirgt sie sich hinter wuchernden Gebüschen.

Ivo Andrić, der ewige Südslawe, war die Verkörperung des entgrenzten Raums. Im zentralbosnischen Travnik 1892 in eine katholisch-kroatische Familie aus Sarajevo hineingeboren, wuchs er bei einer Tante in Višegrad auf und studierte in den westlichen Fernen der Donaumonarchie. Während des Ersten Weltkriegs saß er in politischer Haft, während des zweiten schrieb er drei seiner größten Romane, darunter auch „Die Brücke über die Drina“, zu einer Zeit, in der er „nicht einmal zwei Münzen“ für sein Leben gegeben hätte, wie er später sagte. 1961 gewann er den Literaturnobelpreis.

Eine Chronik des Wandels

Ist das überhaupt ein Roman? Andrić hat eine vordergründig nüchterne Chronik geschrieben, über fünf Jahrhunderte vom Bau der Brücke bis zum Vorabend des Ersten Weltkriegs – Geschichten, die man sich immer noch erzählt, auch wenn sich alles ändert: wenn man Rum statt Rakija trinkt und die Österreicher auf einmal mit der Eisenbahn kommen und Annexionserklärungen verlesen.

Bosnien ist zwar der Schauplatz, aber Andrićs Erzählung ist so universell und metaphysisch, dass sie schon zu vielen allegorischen Zeigefingern geworden ist. Man sehe die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs darin, sagen die einen, der Roman zeige das bald friedliche, bald latent angespannte Zusammenleben von Völkern und Religionen im kommunistischen Jugoslawien, sagen die anderen. Über alldem steht, wie Menschen mit dem Wandel umgehen und wie er Teil von ihnen wird. Andrić fragte 1961 in Stockholm in seiner Nobelpreisrede, ob wir nicht in Gegenwart und Vergangenheit alle mit den gleichen Problemen und Phänomenen konfrontiert seien.

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