#Musical 1989 in Polen erinnert an schicksalhaftes Jahr
Inhaltsverzeichnis
Endlich haben polnische Theatermacher das Überfällige gewagt: Sie haben die Ereignisse des Annus mirabilis, des ebenso dramatischen wie wunderbaren Jahres 1989, auf die Bühne des Musiktheaters gebracht. Als Rap. Die Autoren, Jahrgänge um 1980, nennen es zu Recht das „erste polnische Non-fiction-Musical“. Die Helden und Anti-Helden von damals und, ganz wichtig, das Fußvolk: Sie tanzen, hüpfen, rucken und zucken im Takt der jüngsten Geschichte. Sie sprechen, schreien und singen, zumeist in Kreuzreimen. Dabei werden die großen Gestalten jener Zeit zwar nicht vom Sockel gestoßen. Aber die Ereignisse werden, das darf man sagen, heftig gegen den Strich gebürstet.
Das Jahr 1989 hat, wie überall in Mittel- und Osteuropa, eine bis in die Gegenwart reichende Nachgeschichte; in Polen hatte es überdies eine zehn Jahre lange, turbulente Vorgeschichte. Anders als etwa in der DDR, wo die Regierenden – zumindest in Brechts Gedicht über den dortigen Aufstand von 1953 – sich lange Zeit stark genug fühlen konnten, um im Notfall „das Volk aufzulösen und ein anderes zu wählen“. In Polen war es immer noch das Volk, das seine Regierungen auf- oder zumindest ablöste. So auch im Sommer 1980, als das Musical einsetzt.
Im Wohnzimmer des Elektrikers
Der erste Akt beginnt mit der Sehnsucht nach dem kleinen Glück in der sozialistischen Mangelwirtschaft: Menschen stehen vor einem Geschäft Schlange, in der Erwartung, ein besseres Kleidungsstück oder ein Stück Fleisch zu ergattern. Sie rappen im Chor ihre Hoffnung, „dass Träume und nicht Ängste in Erfüllung geh’n“. In der nächsten Szene geht es noch tiefer ins Private: ins Danziger Wohnzimmer des Elektrikers der Lenin-Werft, Lech Wałęsa. Seine Frau Danuta hat gerade Wäsche aufgehängt, Lech repariert die Waschmaschine, und in einem bezaubernden Pas de deux versichern sich der Elektriker und die Blumenverkäuferin ihrer Liebe. Die Basslinie erinnert dabei an das Soul-Stück „Stand by Me“.
Aber dann: Das Rad der Geschichte beginnt sich zu drehen. Der Diktator erhöht die Lebensmittelpreise. Anna Walentynowicz, die tapfere Kranführerin auf der Werft, der Volker Schlöndorff im Film „Strajk“ ein Denkmal gesetzt hat, wird kurz vor der Rente gefeuert. Die Arbeiter rappen im Blaumann, die Wut kocht hoch. Plötzlich stehen alle Räder still. Der starke Arm der Proletarier will Geschichte schreiben. Da tauchen Gestalten im Halbdunkel auf in abenteuerlichen roten Masken. Das Drehbuch verzeichnet sie als „Chor der Sirenen“. Mit kehligen Stimmen besingen sie die polnische Geschichte, zitieren Kriegslieder, treiben die Männer an, wie ihre Väter und Großväter zur Waffe zu greifen und zu kämpfen: „Der rote Mohn fordert dein Blut.“
Ein neuer, positiver Beat
Aber diesmal, anno 1980, stellen sich ihnen die Frauen entgegen. Sie rufen nach einer „Geschichte, die gut ausgeht“, nach einem „neuen, positiven Beat, einem Hit, der uns verbindet, nicht trennt.“ Damit sind gleich drei Motive des Stücks umrissen: Es soll nicht wieder Blut fließen in Polen wie einst in Aufständen gegen übermächtige fremde Herrscher. Die Frauen und sogar die Kinder sollen gehört, ins rechte Licht gesetzt werden. Und es sollen alle mitgehen können, niemand zurückbleiben. Lech Wałęsa fordert die Arbeiter dazu auf, „Lärm unter den Fenstern der Politiker zu machen“. Und die Menge antwortet: „Macht Lärm, Macht Rauch! Polen, wacht auf! Wir lassen unsere Leute nicht im Stich!”
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