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#Musterknaben und Vandalen

Musterknaben und Vandalen

Schon am 26. August 1939 schlossen in Versailles Pforten und Gitter. Dabei war der Krieg noch nicht erklärt und das Land noch nicht besetzt. Als nach dem „Frankreich-Feldzug“ im Mai und Juni 1940 die ersten deutschen Truppen in Paris einmarschierten, waren die meisten musealen Einrichtungen, allen voran der Louvre sowie die Schlösser und Gärten in Versailles, längst auf den Ernstfall eingestellt. 1935 bereitete ein Gesetz die „passive Verteidigung“ vor, 1936 – die Erinnerungen an böse Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg waren noch lebendig – bestätigte die Bedrohung, die der Prado in Madrid erfuhr, französische Befürchtungen.

Sandsäcke und Holzverschalungen zum Schutz der Bausubstanz oder bildhauerischer Arbeiten waren äußerlich Zeichen dafür, dass gerade am Schauplatz des Friedensvertrags von 1919, der diesseits des Rheins vielen als „Diktat“ erschien, mit Repressalien gerechnet wurde. Hinter den Fassaden gingen damit Ausbau, Verpackung und Abtransport von Vertäfelungen, Mobiliar und beweglichen Kunstgegenständen Hand in Hand. Gefürchtet wurden Bombardements, Vandalismus, Raub und die Konsequenzen unerwünschter Nutzung von Gebäuden im Falle von Requisitionen. Tatsächlich erfolgte 1940 der Einzug von Dienststellen und Mannschaften: Schlösser wurden zu Kommandanturen oder Kasernen der Wehrmacht, Kabinette und Säle zu Büros, Schlafstätten, Lazaretten, Kantinen oder Offizierskasinos. Unter gehissten Hakenkreuzflaggen wurden bald schon Zeremonien, Konzerte und Feste durchgeführt sowie Parkanlagen zum Exerzieren benutzt.

Bei einem zweitägigen Symposium im Schloss Versailles wurde jetzt rekapituliert, wie sich hier, aber auch in den anderen Schlössern der Hauptstadtregion Île-de-France auf den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs vorbereitet wurde. Trotz der Ernennung federführender Organisatoren und des Ziels, Maßnahmen zu koordinieren, reagierten die Verwaltungen der Schlösser etwa von Chantilly, Compiègne, Fontainebleau, Rambouillet oder Saint-Germain-en-Laye unterschiedlich auf die Herausforderung, national wie international bedeutendes Kulturerbe zu schützen.

Topografische und bauliche Besonderheiten

Alle waren dem Dilemma unterworfen, schnell entscheiden zu müssen, welches Übel das kleinere sein würde, der Verbleib von Werken in situ oder Evakuierungen – in entfernte, im Westen und Südwesten des Landes gelegene auch private Schlösser –, die Schäden verhindern, aber auch begünstigen. Dabei kamen nicht alle Kuratoren auf die Idee, zum Abtransport mit Stroh und Werken gefüllten Kisten die entsprechenden Inventare hinzuzufügen. Topografische und bauliche Besonderheiten oder solche der Ausstattung gestalteten jede Ausgangsposition anders. So galt in Versailles nicht nur den Innenräumen Aufmerksamkeit, sondern auch den Skulpturen der Wasserspiele, wie denen des Parterre de Latone und des Bassins d’Apollon. Der aus der Luft weithin sichtbare Grand Canal wurde trockengelegt und begrünt, um die Orientierung zu erschweren. Aber war dies im Nachhinein und aus heutiger Sicht die richtige Entscheidung?

Die gut zwanzig Referierenden des wissenschaftlichen, ungemein spannenden Symposiums, das Claire Bonnotte Khelil (Musée national des châteaux de Versailles et de Trianon) organisiert hat, betraten mit ihren Fallstudien weitgehend Neuland. Denn von einzelnen Vorarbeiten abgesehen, die bisher vorwiegend „nur“ Paris und den Louvre betrafen, sind die Aktivitäten zum Schutz der Schlösser der Île-de-France und ihrer Schätze in den Jahren 1939–1945 bisher kaum erforscht worden. Den Vortragenden aus Museen und Universitäten zeigte sich jetzt, wie schwierig es ist, selbst grundlegende Fragen auf Anhieb zu erörtern.

Kunstschutz

Sie mussten feststellen, dass hauseigene Unterlagen (Schriftstücke und Fotografien) oft nicht umfangreich oder aussagekräftig genug und also mit Beständen zahlreicher anderer Archive abzugleichen waren – eine Stelle, die alle Fragen beantwortet, existiert nicht. Dies liegt nicht zuletzt an der historischen Organisation der jeweiligen Schlossverwaltungen und Zuständigkeiten; nicht selten hatten auch Präfekten oder Bürgermeister, oft der deutsche „Kunstschutz“ mitzureden. Schließlich bedurften die Analysen der Interpretation von Lücken oder Ungereimtheiten sowie der Trennung von Fakten und Propaganda oder Chauvinismus.

Um 1950 – es ging um die Frage, wer für Instandsetzungen aufzukommen hat – staunten die Franzosen, als sie die von Deutschen verursachten Schäden und Verschmutzungen mit denen verglichen, die amerikanische Befreier 1945/46 angerichtet haben. Ein Bericht der Nachkriegszeit zur Lage in Rambouillet kommt zum entwaffnenden Schluss: „Die Deutschen waren tadellos.“ Musterknaben und Rowdys? Offenbar hatte sich ein Minimum an Ehre und Respekt bewahrt – stellenweise. Während das Schloss Compiègne Regen und Traufe auseinanderhalten kann, jenes zu Sceaux aber nicht ohne Weiteres, weil 1945 eine Zwischenbilanz nicht gezogen wurde, beklagt Château de Vincennes ärgste Schäden seitens der Besatzer. Hier rächte sich eine durch das Ignorieren von Vorzeichen kurze Vorbereitungszeit und richtete sich Vandalismus, ja Barbarei im Namen der Wehrmacht möglicherweise gegen die Nutzung der Anlagen durch das französische Militär und seine Angehörigen.

Die Beiträge des Symposiums „Les châteaux-musées franciliens et la guerre: une protection stratégique (1939–1945)“ sollen 2022 publiziert werden.

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