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#Nach 20 Jahren wieder in Deutschland: Auf dem sinkenden Schiff

Und? Wie ist es so, nach zwanzig Jahren zurück zu sein? Seit meiner Ankunft in Deutschland verläuft kaum ein Gespräch ohne diese Frage, und meistens hat sie einen mitfühlenden Ton, so als würde jetzt eine Suada erwartet, eine Abrechnung, oder wenigstens ein tiefer Seufzer. Aber meine Antwort ist enttäuschend. Sie lautet, dass es einfach schön ist, wieder zu Hause zu sein.

Jochen Buchsteiner

Politischer Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

Dabei war ich gern weg. Sich der Welt auszusetzen tat gut: zu lernen, dass Menschen auch ohne gegenseitige Belehrungen miteinander auskommen, dass Hilfsbereitschaft universell ist, dass gebrate­ner Reis zum Frühstück schmeckt, dass Humanität oft in Momenten höchster An­spannung und Not triumphiert. Immer wenn ich mich in fernen Ländern in ein Gästebuch eintragen musste, schoss mir der Vers aus Brechts Dreigroschenoper in den Kopf: „Es geht auch anders, aber so geht es auch.“

Zwanzig Jahre waren nicht geplant, aber was läuft im Leben schon nach Plan. Für Neugier zahlt man einen Preis, und in meinem Fall war er angemessen. Man verbraucht etwas mehr Energie als andere, verpasst ein paar besondere Momente in Deutschland und fühlt sich zuweilen entwurzelt. Mit den Jahren wächst der Teil des Lebens, der sich mit alten Freunden nicht mehr teilen lässt. Man kann in leuchtendsten Farben schildern, wie es ist, auf der mehrspurigen Aurobindo-Road neben einer Kuh an der Ampel zu warten, von einem Mullah in Peshawar die aktive Islamisierung des Westens angekündigt zu bekommen oder in Rotherham am frühen Nachmittag Arbeitslosen beim hemmungslosen Trinken im Pub zuzusehen. Aber niemand in Deutschland versteht das wirklich. Die Menschen, die es verstehen, sind die in der Nähe, und das ist die Ferne.

Zurückkommen heißt also auch Abschiednehmen, und Abschiednehmen bedeutet Aufbruch, selbst wenn er in die Heimat führt. Die hält dafür kleine Kostbarkeiten bereit. Nur wer zurückkehrt, kann erkennen, dass das Vertraute in Wahrheit besonders ist, anders als irgendwo sonst. Nehmen wir die Lindenwirtin, ein Lokal in unserem Berliner Stadtteil. Es gibt dort eine Rinderroulade für 14,90 Euro und eine kleine Aus­wahl an badischen Weinen, serviert von Kellnerinnen in schwarzen Röcken, an denen pralle, lederne Geldbörsen baumeln. Die Lindenwirtin ging nicht mit der Zeit, macht aber auch nicht übertrieben auf tradi­tionell. Sie ist einfach da, mit ein paar Renovierungssünden aus den vergan­genen Jahr­zehnten und Musik aus dem Radio.

Deutsch wie in Kindertagen: die Lindenwirtin in Charlottenburg


Deutsch wie in Kindertagen: die Lindenwirtin in Charlottenburg
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Bild: Andreas Pein

Die Lindenwirtin ist ein kleiner Spiegelraum dessen, was Deutschland in meiner Kindheit ausgemacht hat: das Red­liche und das Plumpe, das Verbindliche und das Muffige, die mittelwarme Unaufdringlichkeit und der komplett fehlende Ehrgeiz, mehr darstellen zu wollen, als ist. Die Lindenwirtin ist in einem deutschen Sinne gemütlich und damit ohne Beispiel in der Welt. Man könnte auch sagen: Nur wer hierzulande groß geworden ist, kann in der Lindenwirtin sitzen und den Ort normal finden. Und Normalität ist etwas, nach dem man sich nach so vielen Jahren im Ausland irgendwie sehnt.

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