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#Nach dem Krieg droht der Ukraine die Entvölkerung

Russlands Angriffskrieg trifft die Ukraine schwer. Tausende Zivilisten und noch mehr Soldaten wurden getötet, die Wirtschaftskraft schwer beschädigt. Der Wiederaufbau wird Jahre benötigen und dreistellige Milliardenbeträge verschlingen. Dabei ist die langfristig vermutlich schlimmste Folge noch gar nicht berücksichtigt: die Entvölkerung des Landes.

Andreas Mihm

Wirtschaftskorrespondent für Österreich, Ostmittel-, Südosteuropa und die Türkei mit Sitz in Wien.

Der Krieg hat die demographische Krise der Ukraine, in der sich das Land seit seiner 1991 ausgerufenen Unabhängigkeit befindet, radikal verschärft und wird zu einem schweren Arbeitskräftemangel nach Kriegsende führen. Das ist das Ergebnis einer Studie des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW). Unabhängig davon wie lange der Krieg dauere, dürfte sich die Ukraine demographisch nie mehr von dessen Folgen erholen, hält die Autorin der Untersuchung, Maryna Tverdostup, fest.

Zum Zeitpunkt des Überfalls im Februar vergangenen Jahres waren in der Ukraine 41,8 Millionen Bewohner registriert. Doch bis zum Jahre 2040 werde die Einwohnerzahl um ein Fünftel auf 35 Millionen schrumpfen. Der Rückgang der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter dürfte dabei am stärksten und folgenreichsten ausfallen.

Ukrainische Flüchtlinge in Brandenburg: Die Rückkehr in ihre Heimat scheint nicht für alle attraktiv.


Ukrainische Flüchtlinge in Brandenburg: Die Rückkehr in ihre Heimat scheint nicht für alle attraktiv.
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Bild: dpa

Die Zerstörung bleibt

„Der Aderlass der Bevölkerung durch den Krieg wird den Wiederaufbau und die wirtschaftliche Erholung des Landes über Jahre stark in Mitleidenschaft ziehen“, sagt Tverdostup. Denn es fehlten schlichtweg die Menschen, „um die Zerstörungen zu beseitigen und die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen“. Das gelte vor allem für die östlichen und südöstlichen Regionen des Landes, die am stärksten vom Krieg betroffen sind.

Vor allem die starke Abwanderung gut ausgebildeter Frauen könnte den Bevölkerungsverlust auf lange Zeit zementieren. Frauen im erwerbs- und gebärfähigen Alter machten 70 Prozent der erwachsenen Flüchtlinge aus. Auf Kinder und Jugendliche, die mit ihnen gegangen sein, entfalle ein Drittel der Geflohenen.

Befragungen in Deutschland, Großbritannien oder Österreich zeigen, dass rund die Hälfte der vielen Millionen nach Westen Geflüchteten mit dem Gedanken spielt, längerfristig zu bleiben. Die Quote ist umso höher, je länger die Flüchtlinge im Land sind, je besser sie die Sprache des Gastlands sprechen und je weiter sie in den Arbeitsmarkt integriert sind.


Für die Rückkehrer kämpfen

Damit scheinen sich Befürchtungen zu bewahrheiten, die der Kiewer Notenbank-Gouverneur Andriy Pyshnyys schon vor Monaten aussprach: „Wir könnten die Besten der Besten verlieren“, warnte er und mahnte: „Wir müssen darauf achten, dass wir unsere Leute zurückbekommen, wir brauchen sie hier.“

Nach den Berechnungen Tverdostups, die laut WIIW mit ihrem neuen Prognosemodell wissenschaftlichen Neuland betreten hat, sieht es dafür aber schlecht aus. Im Falle des besten der vier Demographieszenarien, die sie durchgerechnet hat – das ist ein Ende des Krieges noch in diesem Jahr –, dürfte die Bevölkerung des Landes von 2024 an zwar wieder zunehmen und 2030 ihren Nachkriegshöchststand mit 37,8 Millionen erreichen. Aber auf das Vorkriegsniveau von knapp 42 Millionen werde sie nie wieder kommen.


Bild: F.A.Z.

Das schlechteste Szenario geht dagegen von einem langen Krieg bis zum Jahr 2025 aus. In dem Fall würde die Ukraine 7 Millionen Menschen verlieren und 2035 nur noch 35 Millionen Einwohner zählen. Die Abwanderung bleibe hoch, die Zahl der Rückkehrer gering. Wenn junge Frauen auswandern und die Alten bleiben, ist das schlecht für die Bevölkerungsentwicklung: die Fruchtbarkeit sinkt, die Sterblichkeit steigt.

Strategien für den Wiederaufbau

Die demographische Herausforderung der Ukraine ähnele der Europas nach dem Zweiten Weltkrieg, sagt Tverdostup, die auch eine Reihe von Vorschlägen entwickelt, wie der Aderlass zu begrenzen sei. So rät sie der Regierung, daran zu arbeiten, „so viele Geflüchtete wie nur möglich zur Heimkehr zu bewegen“, ihnen Wohnraum zu beschaffen, Arbeitsplätze zu vermitteln und Geschäftsmöglichkeiten als Unternehmer zu kreieren.

Auch wenn die bisherigen Erfahrungen mit einer staatlichen Förderung der Geburtenrate wenig erfolgreich gewesen seien, rät sie zu mehr finanzieller Förderung für junge Eltern. Weitere Punkte sind uneingeschränkte Rückkehrrechte auf den Arbeitsplatz, Elternzeitmodelle auch für junge Väter, Steuervorteile für Familien, Schulangebote für Kinder.

Am Ende müsse die Regierung nicht nur festlegen, wie und wo die Schwerpunkte für den Wiederaufbau gelegt werden sollen, sondern sich auch eine aktive Einwanderungspolitik betreiben. Dazu sollten die Bedingungen für die Einwanderung gelockert, Englisch als Geschäftssprache anerkannt und „jenseits von Europa und den Staaten der früheren Sowjetunion“ nach Arbeitskräften Ausschau gehalten werden.

Denn im Wettstreit mit anderen Staaten gebe es für die Ukraine „wenig bis gar keine Aussichten auf nennenswerte Einwanderungsströme aus Ländern mit höherem Einkommensniveau, besserem Sozialschutz und besseren wirtschaftlichen Aussichten“. Deshalb blieben die potentiellen Quellen der Zuwanderung wohl auf den Südkaukasus, den Nahen Osten, Asien und Afrika beschränkt. Das werde in der monoethnisch strukturierten Ukraine unweigerlich auf starken Widerstand stoßen. Es bedürfe deshalb eines großen Mentalitätswandels auf allen Ebenen der Gesellschaft.

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