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#Nein, nichts ist schön!

Manchmal ist Theater eine Art Erinnerungsarbeit, die sich nicht nur englischen Erbfolgekriegen oder schlesischen We­beraufständen widmet, sondern auch politischen Ereignissen, die nicht lange her sind und trotzdem halbwegs vergessen. Das Berliner Maxim Gorki Theater zum Beispiel richtet derzeit ein vierwöchiges Festival zum Thema Gezi-Park aus, wo sich vor zehn Jahren auf dem zentralen Taksim-Platz in Istanbul „der letzte heftige Protest gegen die Regierung Recep Tayyip Erdogan“ äußerte, wie es gerade in der ARD-Tagesschau aus Anlass der Wiederwahl des türkischen Präsidenten hieß.

Die Aktionen zivilen Ungehorsams wurden brutal niedergeschlagen, für einzelne verhaftete Beteiligte, vor allem Künstler und Journalisten, gab es langjährige Strafen. Wer konnte, rettete sich ins Ausland, und so ist es kein Wunder, dass die – keineswegs unumstrittene – Intendantin Shermin Langhoff als Kuratorin des Festivals mit ihrem Ko-Kurator Erden Kosova auf ein Team von 17 Mitstreiterinnen und Mitstreitern zurückgreifen konnte, das seine speziellen (Exil-)Erfahrungen mit der Türkei hat.

Keine Aussicht auf Veränderungen

Darüber hinaus wenden sich über 100 Künstler und Aktivisten aus über 20 Ländern und vier Kontinenten hier einem Begriff zu, dessen Beschränkungen und Zerstörungen sie vehement anklagen: Freiheit. Deren Unterdrückung durch autoritäre, nationalistische und religiöse Regimes verbindet die 70 Veranstaltungen, die im Theater sowie in ein paar Nebengebäuden stattfinden. Multimedial, vielschichtig und gründlich wird in „Gezi – Ten Years after“ die damalige Situation rekonstruiert und die Folgen für die Menschen in der Türkei analysiert.

Haben sie Erdogan gewählt? Emre Aksızoğlu, Taner Şahintürk und Peer Neumann in „Alles wird Schön sein“


Haben sie Erdogan gewählt? Emre Aksızoğlu, Taner Şahintürk und Peer Neumann in „Alles wird Schön sein“
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Bild: Ute Langkafel

Im Garten des Maxim Gorki Theaters ist maßstabsgetreu die 14,62 Qua­dratmeter messende Gefängniszelle aufgebaut, in welcher der türkische Journalist Can Dündar eingesperrt war. Die berüchtigte Strafanstalt Silivri nannte er „ein Internierungslager, um Erdogan-Gegner zusammenzufassen“. Wenn es Abend wird, wirkt die Zelle durch Material und Licht wie eine sich ins Unendliche vergrößernde Skulptur, was keine gute Botschaft ist, gerade nach dem Wahlergebnis vom Wochenende, das keine Aussicht auf Veränderungen verheißt.

Bibliothek des Widerstands

In zahlreichen künstlerischen Genres, seien es Filme, Ausstellungen, Konzerte, Performances, Installationen, in öffentlichen Gesprächsrunden, mit einer „Bi­bliothek des Widerstands“, einem „Queer Weekend“ und Partys wird die Chronik einer demokratischen Utopie erzählt, die tragisch scheiterte. Und auch mit der Uraufführung eines Stücks von Hakan Savas Mican: „Alles wird schön sein“. Der Autor hat es im kleinen Gorki-Studio selbst inszeniert und nennt es ein „Mix­tape“, weil es auf Songs basiert, die Merve Akyildiz, Peer Neumann und Emre Aksizoglu live vortragen.

Taner Sahintürk spielt den etwa vierzigjährigen Ali Ölmez, der als Sohn türkischer Gastarbeiter in Berlin lebt. Eine Frau, mit der er nicht mehr zusammen ist, erwartet ein Kind von ihm, das er allerdings nicht kennenlernen wird, denn er ist an einem Hirntumor erkrankt. Was könnte er der noch ungeborenen Tochter hinterlassen? Einen Brief? „Aber Schreiben ist nicht so mein Ding“, sagt er und zieht Musik vor. Humor- wie gemütvoll singt Taner Sahintürk als gewitzter Alleinunterhalter dann Hits von Roberto Blanco oder Depeche Mode. Zunehmend jedoch sind es türkische Lieder, die er mit knappen biographischen Geschichten und politischen Berichten verbindet.

Blick in eine Vergangenheit, die ihn nicht loslässt

So erinnert er beispielsweise an das Massaker in der anatolischen Stadt Sivas, bei dem 37 Menschen vorwiegend alevitischen Glaubens 1993 in einem Hotel verbrannten. Das Feuer hatte ein islamistischer Mob gelegt, der später die Feuerwehr beim Löschen behinderte. Auf der Leinwand im Hintergrund, wo vorher immer wieder hübsche alte Postkarten von Städten und Meerlandschaften eingeblendet wurden, werden nun Videos von diesen Ereignissen gezeigt, denn die Nachrichtenagentur News Agency (IHA) nahm den Pogrom acht Stunden lang auf, am Abend wurde er im türkischen Fernsehen ausgestrahlt.

Fast ohne Bühnenbild, lediglich mit einem braunen Pappkarton voller Habseligkeiten ausgestattet, öffnet Ali den Blick in eine Vergangenheit, die ihn nicht loslässt, wie weit er sich auch von ihr zu entfernen sucht. Er ist froh, weg zu sein, aber das Heimweh kann er nicht leugnen. Und doch: Bei aller Kritik möchte er sein Publikum auch neugierig auf die Türkei machen. In der Hoffnung, dass es dort irgendwann einmal wieder besser werden kann.

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