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#Sie diktierte von ihrem Bett aus

Sie diktierte von ihrem Bett aus

Frau Nunez, Sie haben Susan Sontag zum ersten Mal 1976 getroffen, da waren Sie selbst 25 Jahre alt und Susan Sontag 43. Sie kamen zu ihr in ihre Wohnung am Riverside Drive 340, in der sie zu der Zeit mit ihrem Sohn David Rieff lebte. Sie hatten gerade ihr Studium abgeschlossen, wollten Schriftstellerin werden und jobbten nebenbei als Assistentin bei der „New York Review of Books“, der wohl einflussreichsten Zeitschrift für Literaturkritiken und Essays. Sie wussten also genau, wen Sie da trafen. Wie war es, bei Susan Sontag am Küchentisch zu sitzen?

Ich hatte Susan Sontag vorher schon ein paarmal in der Redaktion der „New York Review“ und wohl auch ab und an auf einer Lesung getroffen. Aber das hier war etwas ganz anderes. Sie hatte gerade ihre Brustoperation gehabt und versuchte, allmählich wieder auf die Füße zu kommen. Zu Hause erwarteten sie stapelweise unbeantwortete Briefe, und sie brauchte jemanden, der an ihrem Tisch saß und tippte, was sie, auf dem Bett liegend, diktierte. Wir haben also in ihrem Schlafzimmer gearbeitet. Ich erinnere mich auch heute, so viele Jahre später, noch genau daran, wie extrem aufgeregt ich war. Aus meiner damaligen Perspektive kam sie mir unglaublich alt vor. Das lag daran, dass sie schon so erfolgreich und bekannt war, sie hatte einen Ruf, sie galt als absolute Ausnahmeerscheinung.

Etwas später lernten Sie David Rieff kennen, sie verliebten sich ineinander, und als Sie ein Paar wurden, zogen Sie bei den beiden ein. Für mich klingt das wie eine unmögliche Konstellation, mit dem Freund und dessen Mutter zusammenzuleben.

Es hat von Anfang an nicht funktioniert. Ihre Krebsdiagnose war sehr schlecht, sie musste damit rechnen, dass ihr Leben nicht mehr lange dauern würde. Zudem war sie eine wirklich anspruchsvolle Mutter. David sollte eine Art Lebensbegleiter für sie sein. Sie wollte, dass er sie niemals verlässt. Nach etwas mehr als einem Jahr war die Situation zu unerträglich geworden, ich zog aus. David und ich versuchten es noch eine Weile, trennten uns aber bald endgültig. Wir hätten uns auch ohne Susan getrennt.

Eine meiner Lieblingsanekdoten in Ihrem Buch liefert ein schönes Bild für diese Dreiecksbeziehung. Eines Abends kommt Sontag spät von einer Party nach Hause, stürzt in das Zimmer, in dem Sie und David schon im Bett liegen, setzt sich auf das Sofa, zündet sich eine Zigarette an und beginnt, den Abend im Detail nachzuerzählen. Damals fühlten Sie sich nur gestört. Aber Sie schreiben auch, dass Sie es heute bereuen, all die Geschichten Sontags nicht stärker geschätzt zu haben.

Wir hatten einen klassischen Interessenkonflikt. Ich habe es immer sehr genossen, Zeit mit ihr zu verbringen, denn das hieß bei Susan Sontag auch immer, unglaublich viel zu lernen. Das Problem war, dass sie es nicht aushielt, allein zu sein. Es genügte nicht, dass wir in der gleichen Wohnung waren, wir mussten auch im gleichen Zimmer sein. Ich musste damals viel jobben, hatte nicht viel Zeit und wollte in jeder freien Minute schreiben. Sie stand ständig an meiner Tür und sagte: Lass uns ins Kino gehen, lass uns reden. Außerdem ging in ihrer Wohnung die New Yorker Intelligenzija ein und aus. Joseph Brodsky, mit dem Susan zu dieser Zeit liiert war, war ständig da, der Regisseur Mike Nichols, Edward Said, die Literaturkritikerin Elizabeth Hardwick, die Schriftstellerin Renata Adler, Donald Barthelme oder Paul Thek, dieser wundervolle Künstler, der später an Aids starb, alle waren sie da. Um arbeiten zu können, versteckte ich mich in meinem Zimmer, was Sontag mir später oft vorwarf. Sie fragte immerzu: Bist du denn gar nicht neugierig auf diese Leute?

Sigrid Nunez und Susan Sontag 1977


Sigrid Nunez und Susan Sontag 1977
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Bild: Sigrid Nunez

Während der Zeit, in der Sie zusammenlebten, veröffentlichte Sontag einen ihrer berühmtesten Texte, „Krankheit als Metapher“. Gleichzeitig scheint es Sontag sehr geärgert zu haben, dass sie besonders für ihre Essays berühmt wurde. Sie beschreiben, dass sie nicht aufhören konnte zu weinen, als ihr 2000 endlich der Preis für den National Book Award verliehen wurde. Wollte sie lieber als Schriftstellerin wahrgenommen werden?

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