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#Neuer Coronavirus-Stamm breitet sich aus

Neuer Coronavirus-Stamm breitet sich aus

In Großbritannien breitet sich eine neue Variante des Coronavirus Sars-CoV-2 aus – und dies in besorgniserregend raschem Tempo. Der Stamm B.1.1.7. könnte ersten Erkenntnissen nach infektiöser sein als die bisherigen Varianten des Coronavirus, denn zumindest einige seiner Mutationen erleichtern offenbar die Bindung des Virus an unsere Zellen. Immerhin gibt es bislang keine Hinweise darauf, dass deshalb die Impfstoffe unwirksam werden oder dass dieser Stamm schwerere Verläufe hervorruft. Noch aber ist einiges an Tests und Forschung nötig, um die Auswirkungen dieses Virenstamms auf die Pandemie richtig einschätzen zu können.

Eigentlich gehört das Coronavirus Sars-CoV-2 zu den eher langsam mutierenden Viren: Im Schnitt entwickeln sich nur ein bis zwei Mutationen pro Monat, die sich in der Virenpopulation halten und dann neue Zweige am genetischen Stammbaum des Coronavirus bilden. Zu solchen schon bekannten Varianten von Sars-CoV-2 gehört der sogenannte G614-Stamm, eine Mutante, die im frühen Frühjahr entstanden ist und inzwischen zur weltweit dominanten Form geworden ist. Im Sommer 2020 hat sich zudem in Spanien der Stamm 20A.EU1 etabliert, der von Urlaubsrückkehrern auch in weitere europäische Länder eingeschleppt wurde. Erst vor wenigen Wochen sorgten zudem mutierte Coronavirus-Varianten für Besorgnis, die sich auf dänischen Nerzfarmen entwickelten und dann wieder auf Menschen zurückübertragen wurden. Diese
„Cluster 5“-Mutante lief sich aber relativ schnell tot und scheint inzwischen aus der menschlichen Population wieder verschwunden zu sein.

Ungewöhnlich viele Mutationen auf einmal

Jetzt gibt es Nachrichten von einer weiteren neuen Variante des Coronavirus. Dieser B.1.1.7. getaufte Virenstamm wurde am 20. und 21. September 2020 erstmals in Proben aus Südengland und London nachgewiesen. Inzwischen lassen sich in Großbritannien mehr als 1600 Fälle eindeutig diesem Stamm zuordnen, Epidemiologen gehen aber von weit mehr Infektionen mit B.1.1.7. aus. Nach Angaben von Patrick Vallance, dem wissenschaftlichen Chefberater der britischen Regierung, machte dieser Virenstamm Mitte November noch rund 26 Prozent der getesteten Fälle aus. In der zweiten Dezemberwoche hatte sich dieser Anteil schon stark erhöht. „In London gehörten bereits 60 Prozent aller Fälle zu dieser neuen Virus-Variante“, so Vallance am Sonntag bei einer Pressekonferenz.

Wie ein Forscherteam um Andrew Rambaut von der University of Edinburgh festgestellt hat, zeichnet sich dieser neue Stamm von Sars-CoV-2 durch eine ungewöhnliche Häufung von Mutationen aus. Demnach unterscheidet er sich durch 14 ausgetauschte Aminosäuren und drei komplett weggefallene Proteinbausteine vom Sars-CoV-2-Urtyp. „Eine solche Ansammlung von 14 linienspezifischen Aminosäure-Wechseln ist im globalen Genbestand der Covid-19-Pandemie bislang beispiellos“, so die Forscher. Sie vermuten, dass sich dieser Stamm in einem immungeschwächten Patienten mit chronischer Infektion entwickelt haben könnte. Bei diesen Patienten kann sich die Coronavirus-Infektion über Monate hinziehen, ihre Virenlast ist meist hoch. Werden diese Patienten dann noch mit Antikörper-haltigem Rekonvaleszenten-Plasma behandelt, kann dies dazu führen, dass in ihnen vor allem die besonders fitten und vermehrungsstarken Virenvarianten überdauern – und auf andere übertragen werden.

Erste Hinweise auf erhöhte Infektiosität

Bisher ist erst in Ansätzen bekannt, welche Auswirkungen die Mutationen des neuen Virenstamms auf das Verhalten des Virus haben. Allerdings geben einige Genveränderungen Anlass zur Sorge. Unter ihnen ist N501Y, eine Aminosäure-Veränderung direkt in der Bindungsstelle des Proteins. „Die Spike-Protein-Position 501 ist eine der Schlüsselkontaktstellen für die Rezeptorbindung des Virus“, erklären Rambaut und sein Team. Da an diesem Protein sowohl die Antikörper und andere Immunreaktionen des Körpers ansetzen als auch die Impfstoffe, gelten Veränderungen in diesem Bereich des Virus als besonders heikel. Außerdem kann eine Veränderung der Bindungsstelle am Spike-Protein dem Coronavirus dabei helfen, effektiver in Zellen einzudringen. Das kann das Virus potenziell übertragbarer machen, aber auch seine Vermehrung erleichtern und zu schweren Verläufen führen.

Erste experimentelle Daten deuten darauf hin, dass die N501Y-Mutation die Affinität des Virus für den ACE2-Rezeptor erhöhen kann, der Hauptandockstelle des Virus an menschlichen Zellen. In Versuchen mit Mäusen und Zellkulturen erhöhte diese Mutation die Infektiosität von Sars-CoV-2, wie die Forscher berichten. Ähnliches könnte für N439K und Y453F gelten, zwei weiteren Mutationen an der Bindungsstelle des Virus. Eine weitere Mutation, P681H, liegt in der Furche, die die beiden Untereinheiten des Spike-Proteins voneinander abgrenzt. Von dieser sogenannten Furin-Furche ist bekannt, dass ihre Konfiguration dem Coronavirus das Eindringen in unsere Atemwegszellen erleichtert. Zudem spielt auch sie eine Rolle für die Übertragbarkeit des Virus, wie Rambaut und sein Team berichten.

Tatsächlich gibt es erste Indizien dafür, dass sich der Virenstamm B.1.1.7. schneller und leichter ausbreitet als bisherige Coronavirus-Varianten. Erste Tests britischer Forscher legen nahe, dass die Wachstumsrate dieses Virenstamms um rund 70 Prozent höher liegt als beim Urtyp. Zudem schätzt das britische NERVTAG-Expertengremium, dass der Stamm einen um 0,39 bis 0,93 höheren r-Wert besitzt. Der r-Wert gibt an, wie viele weitere Menschen ein Infizierter im Schnitt ansteckt. Ziel bei der Pandemie-Bekämpfung ist es, diesen Wert unter 1 zu drücken, denn nur dann sinkt die Zahl der Neuinfektionen. Von Natur aus hat das Coronavirus einen r-Wert von etwa 3,5. „Eine Erhöhung des r-Werts um 0,4 oder mehr sind extrem schlechte Nachrichten“, kommentiert Paul Hunter von der University of East Anglia. „Denn das könnte bedeuten, dass selbst harte Lockdown-Maßnahmen nicht ausreichen, um den Zielwert von r weniger als 1 zu erreichen.“

Impf-Wirkung offenbar nicht beeinträchtigt

Immerhin scheinen die Mutationen des neuen Virenstamms die bisher entwickelten Impfstoffe gegen Covid-19 nicht obsolet zu machen: „Zu diesem Zeitpunkt gibt es keinen Grund zu der Annahme, dass eine der hier diskutierten Mutationen die Impfstoff-Wirkung beeinträchtigen wird“, teilte das Covid-19 Genomics UK Consortium am Samstag mit. Bisher gibt es auch keine klaren Indizien dafür, dass der neue Stamm aggressiver ist und die Schwere der Verläufe von Covid-19 beeinflusst. Zwar gibt es Berichte aus Südafrika, nach denen eine Virenvariante mit einer der Mutationen von B.1.1.7. zu mehr Krankheitsfällen bei gesunden, jungen Menschen führen soll. Noch ist aber umstritten, ob dies nicht nur an einer allgemein gestiegenen Fallzahl liegt. In Großbritannien gibt es dagegen bisher keine Hinweise auf einen schwereren Verlauf.

Noch aber ist einiges an Tests und Forschung nötig, um genauer zu ermitteln, welche Auswirkungen der neue Virenstamm B.1.1.7. tatsächlich auf den Pandemieverlauf, die Übertragbarkeit und immunologische Abwehrreaktionen hat. „Die gesicherten Erkenntnisse über die Variante im Vereinigten Königreich sind noch sehr lückenhaft“, kommentiert der Virologe Jörg Timm vom Universitätsklinikum Düsseldorf. „Es fehlen noch Laboruntersuchungen, in denen die biologischen Eigenschaften der Variante genauer untersucht werden. Dazu zählt auch die Frage, ob die Variante für die Immunantwort ein Problem darstellen kann.“

Quelle: Virological, 19.12.2020; Report COG uk 20.12.2020; NERVTAG Meeting 18.12.2020, Science News, Science Media Centre
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