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Neuer Wein

Stau, wie üblich am Kreisel an der Ortseinfahrt von Ahrweiler. Aber wenigstens kein brauner Staub mehr über dem Flusstal wie noch im Juli. Der Schlamm, den die Ahr, die zu einem reißenden Strom geworden war, binnen weniger Stunden im ganzen Tal in den meterhoch überfluteten Straßen und Häusern hinterlassen hatte – verschwunden. Die schweren Muldenkipper, die sich ins enge Tal wälzten und sich mit Schutt und Unrat wieder hinausquälten – verschwunden. Die Jungen und die Alten, die sich mit Schaufeln und Gummistiefeln an der Tankstelle im Kreisel trafen und mit dem Helferbus zu den Hilfsbedürftigen fuhren – auch nicht mehr da. Geblieben ist nur der Stau von Ahrweiler.

Daniel Deckers

in der politischen Redaktion verantwortlich für „Die Gegenwart“.

Doch der Anschein von Normalität hält nicht lange. An einer Seitenstraße glotzen Häuserreihen den Betrachter aus dunklen Fensterhöhlen an. Wo mögen all die Kinder sein, die morgens in den Kindergarten der katholischen Kirchengemeinde St. Pius gingen und nachmittags die Straßen bevölkerten? Wo ihre Eltern oder Großeltern, wenn sie sich nicht in das Dachgeschoss ihres Hauses hatten retten können? Erst im Oktober wurde der Leichnam einer 60 Jahre alten Frau identifiziert, die sich nicht mehr hatte in Sicherheit bringen können – in Rotterdam. Es gibt kaum jemanden an der Ahr, der nicht den Namen einer der 134 Personen kennt, die das Unheil nicht überlebt haben. Marc Adeneuer weiß, wer die Dame war: die Schwägerin eines Freundes. Die Erinnerung an die Nacht auf den 16. Juli holt ihn, wie alle anderen, die geblieben sind, immer wieder ein. „Hier gibt es ganz viele, die Hilfe brauchten“, sagt der Winzer aus Ahrweiler. Manche hätten sich psychisch bis zur Unkenntlichkeit verändert. Und doch muss das Leben weitergehen.

Eine ganz besondere Weinlese: Nach der Flut im Ahrtal ist man gespannt, wie dieser Jahrgang wohl schmecken wird.


Eine ganz besondere Weinlese: Nach der Flut im Ahrtal ist man gespannt, wie dieser Jahrgang wohl schmecken wird.
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Bild: Michael Braunschädel

Acht Familien leben von und mit seinem Weingut. Das Leben von und mit dem Wein an der Ahr ist alles andere als romantisch. Schon seine Vorfahren wussten es. Die Steil- und Terrassenhänge, für die Touristen zu jeder Jahreszeit ein faszinierendes Ensemble von Reben und Stein, fordern den Weinbauern seit jeher Knochenarbeit ab. Im Extremfall heißt das, immer wieder schmalste Terrassen zu erklimmen, jede Rebe von Hand zu bearbeiten, immer in der Hoffnung, dass ein guter Herbst die Mühen belohnt. Das kollektive Gedächtnis prägen vor allem die guten Jahrgänge. Mögen die Winzer auch in den Dörfern und Städten im Tal leben, so ist ihr Schicksal auf Gedeih und Verderb nicht mit dem Fluss verknüpft, sondern mit dem, was sie den aus Schiefer und Grauwacke bestehenden Felsformationen Jahr um Jahr abringen.

Diese Aufgabe verlangt ihnen bis heute alles ab. Anders wäre es nicht zu erklären, dass das Ahrtal im 19. Jahrhundert mehrfach nicht von Flut-, sondern von Auswanderungswellen heimgesucht wurde. Die weit verstreuten, durch Realteilung immer kleiner werdenden Parzellen warfen einfach nicht genug ab, um eine Familie zu ernähren. Ende des 19. Jahrhunderts türmte sich Krise auf Krise. Hier die Abwanderung aus dem engen Tal in die rheinischen Industrieregionen, dort der echte und der falsche Mehltau, zwei aus Nordamerika eingeschleppte pflanzliche Schädlinge, denen die in Europa beheimatete Edle Weinrebe bis heute nichts entgegenzusetzen hat. Mochte es an der Ahr schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts Winzergenossenschaften gegeben haben, so konnten auch sie in den vielen Jahren nichts mehr ausrichten, in denen es genügend Winzer gab, aber kaum Wein.

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