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#Nicht nur Madonnen leiden

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Nicht nur Madonnen leiden

Viele Deutsche leben spätgotisch – in Siedlungen der Zwanziger und frühen Dreißiger Jahren, mit spitzbogigen Portalen, Zackenbändern und anderem expressionistischem Zierrat. Die Architektur des Expressionismus geht erklärtermaßen auf die Spätgotik des fünfzehnten Jahrhunderts zurück, die ab 1400 als „Schöner und weicher Stil“ oder als „Internationaler Stil“ ganz Europa prägte, jedoch mit beträchtlichen regionalen Abwandlungen.

Zutiefst menschlicher Gottessohn: Dürers melancholischer „Christus als Schmerzensmann“ von 1493.


Zutiefst menschlicher Gottessohn: Dürers melancholischer „Christus als Schmerzensmann“ von 1493.
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Bild: bpk / Staatliche Kunsthalle Karlsruhe

Diese Begriffsunschärfen legen das Problem offen: „Spätgotik – Aufbruch in die Neuzeit“ ist schon im Titel der ab heute geöffneten größten Berliner Ausstellung dieses Jahres in der Gemäldegalerie ein Paradox. Einerseits etwas Spätes und seit Johan Huizingas Schrift „Herbst des Mittelalters“ eher das verblühende Ende einer Epoche, ist sie doch eine Aufbruchszeit mit gewaltigen Umwälzungen auf allen Gebieten der Gesellschaft (Erstarken des „Bürgers“ und damit des kritischen Individuums), Ökonomie (Banken- und Zinswesen), Technik (Innovationen in Bergbau-Entwässerung und Hüttenwesen, die Erfindung der tragbaren Zeit mit Henleins Taschenuhr in Nürnberg), und das mit Blick auf nun vier Kontinente. In der Kunst gibt es mit der ab 1420 dominierenden Ölmalerei ähnliche Revolutionen, das Definitionsproblem bleibt: Spätgotik ist kein klar umrissener Stil und schon gar keine absterbende Spätzeit, die für die italienische Renaissance Platz machen musste. Gerade im Rinascimento werden in Florenz vorhandene niederländische Werke der Spätgotik zitiert wie keine Kunst sonst; noch Michelangelo wird Dürer und Schongauer in der Sixtina und andernorts einarbeiten. Deutsche Künstler der Renaissance wiederum wie Baldung Grien müsste man genau genommen italienisierende Spätgotiker nennen.

Diese unaufgelöste Spannung zwischen dem Weiterführen von Traditionen und grundstürzend Neuem zeigen nun insgesamt 130 atemnehmende „Berliner“ Werke, bereichert durch dreißig hochkarätig ergänzende Leihgaben aus der National Gallery in London, dem Rijksmuseum in Amsterdam oder dem Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg. Sie erlauben Ableitungsketten über das gesamte fünfzehnte Jahrhundert wie nie zuvor. Hauptwerke Hans Pleydenwurffs machen augenfällig, was Michael Wolgemut bei Übernahme von dessen Werkstatt adaptierte und was seinerseits Dürer, gestern vor 550 Jahren geboren, an Werkstattorganisation und Vertriebstricks von seinem „Lehrer“ Wolgemut übernahm.

Heilsgeschehen im Menschenknäuel

Auch der enorme Einfluss der Niederländer, insbesondere des in seiner angestammten Kirche St. Bavo inzwischen neu aufgestellten Genter Altar der Brüder Eyck, kann in dieser Breite und Qualität nur in Berlin gezeigt werden. An über einem Dutzend der ausgestellten Werke sind je im Personalstil anverwandelte Übernahmen zu erkennen, die aber die Werke nur stärker werden lassen Der buchstäblich lange Schatten dieses Manifests der von den van Eycks marktreif entwickelten Öl- und Lichtmalerei zieht sich bis zum in Basel tätigen Konrad Witz, der auf seiner Verkündigung von 1440 den Engel Gabriel in einem spektakulär leeren und durch die Inkarnation erst noch zu füllenden Raum immateriell schweben lässt, zugleich aber durch die Eyck-Schatten wieder dingfest macht.

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