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Leben vor der Kamera

Es ist eine Ästhetik, die kaum verheilte Narben wieder aufreißt und die ihre Schatten auf die kommende kalte Zeit vorauswirft. Menschen vor Kameras, aber eben nicht vor Filmkameras, sondern denen ihrer Computer oder Handys, verdammt zur digitalen Nähe-Simulation. Um die an Hochglanz gewöhnten Netflix-Zuschauer nicht allzu sehr abzuschrecken, stellen die Protagonisten von „Social Distance“ ihre Aufnahmegeräte weitaus öfter als in der Realität ab und machen es sich in einem ansehnlich kadrierten Bildausschnitt bequem.

Wie die soziale Distanz das Leben von Menschen beeinflusst hat, erzählt die Serienerfinderin Hilary Weisman Graham anthologisch anhand von acht Episoden, die im Schnitt zwanzig Minuten lang sind und alle in den ersten beiden Monaten der Corona-Krise in Amerika spielen. Sie eröffnet mit der Geschichte um den seit kurzem trockenen Trinker Ike (Mike Colter), der eigentlich die erste Lektion der Anonymen Alkoholiker befolgen soll: sich nicht isolieren. Nun ist aber genau das angesagt, und Ike hat nicht nur mit seinem Verlangen nach Alkohol zu kämpfen, sondern auch der fehlenden Unterstützung durch das menschliche Netzwerk.

In ein paar Jahren wichtiges Zeugnis der Corona-Zeit?

Es folgt einer der stärksten Beiträge, in dem eine Familie die Trauerfeier für ihren verstorbenen Patriarchen notgedrungen per Videokonferenz begeht. Soziale Interaktion bei Beerdigungen sind immer ein Drahtseilakt. Wie soll man sich am besten verhalten, welche Worte helfen, und welche machen die Trauer gar noch größer? Wenn diese Unsicherheiten noch dadurch potenziert werden, dass man sie auch mit der sicheren Bank einer stillen Umarmung nicht ausräumen oder zumindest vertagen kann, dass man die Technik beherrschen muss, damit das Mikrofon auch funktioniert, oder im Bildhintergrund unpassende Unordnung herrscht, können die Emotionen schnell überkochen. Regisseur Diego Velasco arbeitet hier die vielschichtigen Effekte digitaler Kommunikation sensibel und mit Humor heraus. Am Ende wird es etwas kitschig, aber auch dazu lassen sich Menschen der Erfahrung nach stärker hinreißen, wenn sie nicht nur ihr Gegenüber, sondern auch sich selbst beim Gespräch ständig durch die Kameralinse sehen. Als stünde man als Zuschauer neben der eigenen Inszenierung, bei der ein bisschen mehr Drama als gewohnt plötzlich ganz organisch wirkt.

Weitere Protagonisten sind eine junge Familie, deren Mutter an Covid-19 erkrankt und in der eigenen Wohnung isoliert ist, eine Krankenpflegerin (Danielle Brooks), die sich gleichzeitig um ihre schwerkranke Patientin im abgeriegelten Altersheim und ihre kleine Tochter kümmern muss, ein frisch verrentetes Ehepaar, in dem sich der Mann (Dylan Baker) vor dem Virus und die Frau (Becky Ann Baker) vor der eigenen sozialen Untätigkeit fürchtet. Ein Paar (Brian Jordan Alvarez und Max Jenkins) droht an der erzwungenen Zweisam- und Arbeitslosigkeit zu zerbrechen. Die beste Episode aber spielt im Zimmer der Teenagerin (Kylie Liya Page) und den vielen digitalen Welten, die sie gemeinsam mit ihren Freunden von dort aus bereist. Wo sie kämpft, quatscht, kreativ wird und wo sie sich verliebt. Hier macht Angela Barnes Gomes sehr anschaulich, wie stark sich der Umgang dieser Generation mit dem digitalen Raum von anderen Generationen unterscheidet, wie produktiv sie ihn zu nutzen weiß, aber auch welchen Gefahren sie dort ausgesetzt ist.

Insgesamt ist die fiktive Auseinandersetzung mit der sozialen Distanz oft so unbequem wie das Phänomen selbst. Das ist eine Qualität der Serie, nur keine, die unbedingt zum Anschauen einlädt. Gut möglich, dass „Social Distance“ in ein paar Jahren als wichtiges Zeugnis der Corona-Zeit gilt. So frisch und noch weit von der überstandenen Krise entfernt, bleibt der Erkenntnisgewinn gering. Doch kann sich auch im Zustand des latenten Unwohlseins beim Sehen zumindest das Gefühl einstellen, dass man in all dem Unglück nicht allein war und ist. Vielleicht das Wichtigste in Zeiten sozialer Distanz.

Social Distance ist bei Netflix abrufbar.

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