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#Nur der Wahnsinn zählt

Nur der Wahnsinn zählt

Jedes Mal, wenn sie an der Tür lauscht, riskiert Ragna ihr Leben. Jedes Mal, wenn sie für dreißig Sekunden mit ihrer Chefin telefoniert, könnte sie auffliegen. Und jedes Mal, wenn ihre rechtsextremen Freunde von einem „neuen Europa“ fantasieren, denkt sie an ihre kleine Schwester, die der Massenmörder Anders Breivik vor zehn Jahren auf der Insel Utøya getötet hat.

Ragna (Ine Marie Wilmann) ist eine Filmfigur. Das reale Grauen, das Norwegen am 22. Juli 2011 erreichte, ist in das kollektiven Gedächtnis des Landes eingeschrieben. Die Macher von „Furia“, eine norwegisch-deutsche Koproduktion von Monster Scripted, X Filme Creative Pool, Nordic Entertainment Group und ZDF, verankern die Anschläge von Utøya in ihrer Geschichte – und bescheren dem Grauen eine Fortsetzung, von der man nur hoffen kann, dass sie Fiktion bleibt.

Möglich erscheint einem nach sechs Stunden Fernsehen jedoch alles, weil die vierteilige Serie geschickt mit ihren Figuren und Schauplätzen umgeht. Ragna, Agentin des norwegischen Geheimdienstes, hat eine rechtsradikale Zelle in der abgelegenen norwegischen Kleinstadt Vestvik infiltriert, die eine „ganz große Sache“ plant. Seit Jahren betreibt sie den rechtsextremistischen Blog „Furia“, der ihr die Aufmerksamkeit des für den Geheimdienst zentralen Hintermanns der Zelle, „Cato“, beschert hat. Dieser hat sie nach Vestvik eingeladen, doch gesehen hat Ragna den ominösen Strippenzieher noch nie. Ole (Preben Hodneland), Anführer der Zelle, scheint der Einzige zu sein, der direkten Kontakt zu ihm hat.

Ohne Liebesgeschichte und belanglose Gespräche

Für Ragna geht es nicht nur darum, Europa vor einem großen Terroranschlag zu bewahren, sondern auch um persönliche Rache für ihre getötete Schwester. Anfangs in die Quere kommt ihr Asgeir (Pål Sverre Hagen), ehemaliger Polizist einer Spezialeinheit, der auf der Flucht vor einem russischen Mafiaboss gemeinsam mit seiner siebenjährigen Tochter Michelle (Isabella Beatrice Lunda) versucht, in Vestvik ein neues Leben anzufangen. Da beide darauf angewiesen sind, nicht aufzufliegen, entwickelt sich eine inoffizielle Kooperation, die sie über Oslo nach Deutschland führt, bis in die Abteilung für Terrorbekämpfung des deutschen Innenministeriums. In Berlin findet in wenigen Wochen die Bundestagswahl, an der Oles Zelle ein ganz besonderes Interesse hat.

Welche Rolle spielt er? Ulrich Noethen als Rechtsterrorist Brehme.


Welche Rolle spielt er? Ulrich Noethen als Rechtsterrorist Brehme.
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Bild: ZDF und Nick Remy Matthews

Selbstverständlich wirken solche Erzählungen immer etwas konstruiert, in diesem Fall aber nicht zu sehr, auch wenn es zunächst so scheint. Manche Gespräche betonen das Dilemma, in dem Ragna steckt, etwas zu offensiv, etwa wenn Asgeir sie empört fragt, ob sie schon mal darüber nachgedacht habe, dass ihr Blog, obwohl gefälscht, die Leute anstachelt. Ragna sagt dann theatralisch: „Ja, jeden Tag“, und muss ein bisschen schlucken.

An anderer Stelle gelingt es dem Hauptautor Gjermund Stenberg Eriksen jedoch, die aberwitzige Überwindung Ragnas, ihren Job zu machen, subtiler und besser auszudrücken. Der Griff an die Kette ihrer Schwester, die sie immer trägt, einziges Überbleibsel aus ihrem früheren Leben. Der verhasste Sex, um an Vertrauen und Informationen zu kommen. Der vermeintlich spontane Schuss aus einer Pistole, der unausweichlich scheint.

Wer ist gut, wer ist böse?

Positiv an dieser Geschichte ist, soweit man dieses Wort bei all der gezeigten Gewalt verwenden möchte, dass eine hastige Liebesgeschichte und belanglose Gespräche ausbleiben. Stattdessen platzieren die Regisseure Magnus Martens und Lars Kraume so manches Detail vor die Kamera, nur, um es dann wieder zur Nichtigkeit zu erklären. Diese falschen Fährten verwirren: Wer ist gut, wer ist böse? Wer verrät wen, wer weiß was? Und was ist Verschwörung, was stimmt? All diese Fragen bestimmen den Spannungsbogen bis kurz vor Schluss.

Dem ZDF gelingt hier ein Thriller, der trotz seiner Vielschichtigkeit einen klaren Appell hat: Politische Radikalisierung beginnt mit Worten und führt zu mörderischen Taten, unabhängig davon, ob es um Rechtsextremismus oder Islamismus geht. Die Überforderung der Behörden, die perfiden Methoden des Terrors, die Ignoranz des unsympathischen Innenministers, der am Ende als gebrochener Mann dasteht, ohne zu wissen, wer sein Feind ist: All das ist Teil der Geschichte, die sich konsequent aufbaut und dann, wie in Serienfinalen häufig, ein etwas zu abruptes Ende findet.

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Obwohl die Figuren persönliche Geschichte haben, kommt man ihnen nicht wirklich nah. Was anderswo stören würde, kann hier als Stilmittel gelten. Jeder spielt eine Rolle in dem terroristischen System, das ein Ziel ohne konkrete Vorstellung von den Konsequenzen hat. Nur die wahnsinnige Idee zählt, niemals die Menschen. Ole und seine Zelle, deren Größe erst im Laufe der Zeit zutage tritt, wollen alles anders machen als die in ihren Augen idiotischen Nazis in Springerstiefeln. Dass auch jemand wie Ole, der die Menschenwürde mit Füßen tritt, sich auf schräge Weise selbst reflektiert, zwischendurch gelassen in Cafés sitzt und die Nichte am Telefon tröstet – das ist nur eine der beunruhigenden Einsichten dieser sehenswerten Fernseherzählung.

Die erste Folge von Furia läuft am Sonntag um 22.15 Uhr im ZDF.

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