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#Nur ein Stück Stoff?

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Nur ein Stück Stoff?

Endlich wieder ein Wettkampf! „Superglücklich“, beschrieb Sarah Voss ihre Verfassung angesichts des Umstandes, dass die Europameisterschaft im Turnen in Basel überhaupt stattfindet. Endlich wieder dieses Gefühl, das sich nur beim Wettkampf einstellt – so beschreiben in Basel, wo kein Publikum zugelassen ist, fast alle Aktiven eine Art Glücksgefühl. Für einige wenige ging es zudem um alles, nämlich um noch zu vergebende Plätze für die Olympischen Spiele in Tokio.

Für Sarah Voss ging es am Mittwochmorgen allerdings auch um etwas ganz anderes, nämlich ihren Turnanzug. Letztlich ein bisschen Stoff, der aus dem klassischen Turnanzug einen Ganzkörperanzug macht. Der Auftritt war präzise geplant: Sie habe in der Einturnhalle so lange wie möglich die Jacke angelassen, sodass es aussah, als habe sie einfach eine Gymnastikhose an. Dann stand sie auf dem Podium, bereit für ihren Vortrag auf dem Schwebebalken, der sie 2019 ins Weltmeisterschaftsfinale gebracht hatte. Schon deshalb schauten viele hin. Und wer gerade nicht Richtung Balken schaute, wurde von jemand angestupst: „Guck mal da!“

„Vorbild für Jüngere“

Dass die Übung mit zwei Stürzen misslang, war danach kaum der Rede wert. Die Reaktionen seien alle positiv gewesen, sagte Sarah Voss später. Auch Cheftrainerin Ulla Koch beobachtete die Konkurrenz: „Alle waren ein bisschen überrascht. Ich glaube, die meisten wissen gar nicht, dass wir lang tragen dürfen.“ In der Tat überlässt das Reglement des internationalen Turner-Bundes die Entscheidung darüber, ob ein Turnanzug die Arme und die Beine bedeckt,den Athletinnen.

Seit 2009 ist laut Wertungsvorschriften der Ganzkörperanzug erlaubt. Getragen wurde er selten. Und wenn, dann von Turnerinnen aus muslimisch geprägten Ländern, in denen das übliche, eher einem Badeanzug gleichende Modell bei religiösen Hardlinern schon mal Kritik hervorruft. Die ungewöhnlichen Anzüge waren kaum ein Thema, und wenn, dann keines, dem mit Wohlwollen und Anerkennung begegnet wurde. So ein zusätzliches Stück Stoff bedarf also der Erklärung. Und die lieferte Sarah Voss nach ihrem Wettkampf gleich mit: Es gehe darum, sich wohl zu fühlen, und das sei in den knappen Anzügen eben nicht immer der Fall. Sie sei „froh und stolz“, diesen Anzug zu tragen. Als „Vorbild für Jüngere“, die sich vielleicht im traditionellen Dress auch unwohl fühlen, wollen sie und ihre Kolleginnen im Team zeigen, dass es anders auch geht. Fazit: „Wir freuen uns, wenn wir einen Trend setzen und zeigen, dass mehr Stoff und Sich-Wohlfühlen auch mit Ästhetik zusammenhängen kann.“

Ein Anzug als Statement: Sarah Voss bei ihrem Wettkampf am Schwebebalken.


Ein Anzug als Statement: Sarah Voss bei ihrem Wettkampf am Schwebebalken.
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Bild: EPA

Kurz nach dem Wettkampf meldete sich der DTB in einer Pressemitteilung zu Wort: „Der Deutsche Turner-Bund sieht diesen Schritt als ersten wichtigen Baustein, um das Wohlbefinden aller Athletinnen in den Turn-Sportarten zu stärken und eine offene Kultur im Hinblick auf das Tragen von Wettkampfbekleidung zu schaffen.“ Seit der Veröffentlichung einer Untersuchung zu Vorwürfen gegen missbräuchliche Trainingspraktiken am Stützpunkt Chemnitz Ende Januar ist von Verbandsseite „Kulturwandel“ ein häufig bemühter Begriff. In der seit dem vergangenen Sommer aktuellen Debatte geht es immer auch um den Körper der Turnerinnen, um ständiges Wiegen, um Diätzwang und um Essstörungen.

Doch der Ganzkörperanzug, den Sarah Voss an diesem Mittwoch präsentierte, hat eine andere Geschichte. Das Thema ist „schon länger eines – Frau Koch hat es mit uns angestoßen“, hatte Sarah Voss gesagt. Die Cheftrainerin erzählt, ihr habe eine ihrer Athletinnen berichtet, sie fühle sich im Dress „manchmal fast nackt“, und darauf habe sie als Trainerin reagieren wollen: „Athleten entscheiden selbst. Aber wenn der Anzug eine Möglichkeit ist, dass man sich wohler fühlt, ist das das Wichtigste.“ Auf Nachfrage bestätigt Koch, dass sie das Thema Ganzkörperanzug auf die Tagesordnung gebracht hat, und zwar im Frühjahr 2020. Also vor der Ausstrahlung der Dokumentation Athlete A, in deren Folge die europäische Bewegung #gymastAlliance entstand, in deren Zuge wiederum seit November auch die Debatte in Deutschland entbrannt ist.

So ist in Basel auch die aktuelle Debatte um die Zukunft des Frauenturnens präsent. Man sieht sie nicht nur in Form eines neuen Turnanzugs: bei den Britinnen, weil die suspendierte Cheftrainerin zwar noch im Amt, aber nicht anwesend ist. Beim gastgebenden Schweizer Verband, der seine komplette Führungsriege ausgetauscht hat. Oder bei den Niederländerinnen, die intern das Startalter für Senioren bereits angehoben haben und konsequent auch hier nur mit erwachsenen Turnerinnen antreten. So stehen die 29-jährigen Zwillinge Sanne und Lieke Wevers am Sonntag beide im Balkenfinale. Ob Kim Bui und Elisabeth Seitz, die sich ebenfalls für einige Finals qualifiziert haben, im neuen Trikot auftreten, ließen sie noch offen.

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