#Paradigmenwechsel in Amerikas Politik
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„Paradigmenwechsel in Amerikas Politik“
Eines muss man Joe Biden ganz gewiss lassen: Für einen, den vor der Wahl im November selbst viele Demokraten allenfalls für einen Präsidenten des Übergangs gehalten hatten und dem nicht viel zuzutrauen sei, von der körperlichen Verfassung ganz abgesehen, hat er mächtig losgelegt. „American Rescue Plan“, „American Jobs Plan“, American Families Plan“ – es ist eine Kaskade von Vorhaben, wie sie das Land lange nicht gesehen hat. Nicht von ungefähr tauchte in vielen Bilanzen zu Bidens ersten hundert Tagen im Amt der Name Franklin Roosevelt auf. Vor gut einem Jahr, nach dem schleppenden Vorwahlbeginn, hätten sich das nicht allzu viele Zeitgenossen vorstellen können. Aber zu jenem Zeitpunkt hatte man sich auch ganz andere Dinge nicht vorstellen können.
Der Vergleich mit einem der Väter des amerikanischen Sozial- und Interventionsstaats, vielleicht dem Vater überhaupt, hat mehrere Gründe: Wie seinerzeit Roosevelt hat Biden das Amt mitten in einer schweren Krise angetreten. Seine Vorschläge, wie diese Krise – eigentlich handelt es sich ja um mehr als nur eine Krise – zu überwinden sei und welche Konsequenzen zu ziehen seien, sind deswegen ambitioniert und entsprechend dimensioniert.
Kosten von sechs Billionen Dollar
Sie markieren nicht weniger als einen Paradigmenwechsel, einen epochalen Wandel: Die Rolle des Staates in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wird rehabilitiert; der Sozialstaat soll ausgebaut werden. Biden, der als Senator in dem Ruf stand, Zentrist zu sein, erklärt den Staat zur Lösung der großen Probleme – und zum Katalysator für die Dekarbonisierung der Vereinigten Staaten.
Gigantisch muten die Kosten an, die für Konjunkturerholung, Modernisierung der Infrastruktur, für den Kampf gegen den Klimawandel sowie für neue und den Ausbau alter Sozialleistungen veranschlagt werden. Die einzelnen Preisschilder, die an die jeweiligen Programme geheftet worden sind, addieren sich auf atemraubende sechs Billionen Dollar: 1,9 Billionen für das Rettungspaket, das bereits in trockenen Tüchern ist; 2,2 Billionen für das Klima- und Infrastrukturpaket und rund 1,8 Billionen für das Sozial- und Familienpaket.
Diesen beiden Paketen steht noch der Weg durch den Kongress bevor. Es wäre ein Wunder, wenn das Ergebnis am Ende des Gesetzgebungsprozesses dem Eröffnungsangebot des Präsidenten entspräche. Nur zur Erinnerung: Vor ein paar Wochen hat nicht ein einziger Republikaner für das Konjunkturpaket gestimmt. Es war so wie vor mehr als zehn Jahren, als sich für Obamas Gesundheitsreform nicht eine einzige republikanische Hand gehoben hatte.
Dünne und hauchdünne Mehrheiten
Auf den ersten Blick ist es erstaunlich, dass Biden den Paradigmenwechsel vorantreibt angesichts von Mehrheitsverhältnissen im Kongress, die nicht so sind, dass er schon den Stift für die Unterschrift unter das nächste Gesetzgebungswerk bereitlegen könnte. Die Demokraten haben zwar die Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses; aber im Repräsentantenhaus ist sie dünn (sechs Sitze im Moment), im Senat ist sie hauchdünn. In der kleineren Kammer, die früher gerne die „noble“ genannt wurde, stehen 48 Demokraten und zwei mit ihnen stimmende Unabhängige fünfzig Republikanern gegenüber.
Nur der Umstand, dass Vizepräsidentin Harris den Ausschlag geben kann, verhilft der Partei des Präsidenten zur Mehrheit. Das bedeutet: Wenn die Republikaner auf hartem Oppositionskurs bleiben, kommt es auf jeden einzelnen Demokraten an – und selbst das wird nicht immer reichen, also bei Initiativen, die das Instrument der Dauerrede erlauben. Bei unmittelbar haushaltsrelevanten Gegenständen reicht die einfache Mehrheit, bei den meisten anderen braucht man sechzig Stimmen, somit auch die republikanischer Senatoren, um ein Filibuster zu beenden. Angesichts von Größe und Ambition der Vorhaben Bidens ist das so gut wie ausgeschlossen.
Bidens Ziel: Die Wiederherstellung des Vertrauens
Im Übrigen könnte ein Blick zurück die Republikaner darin bestärken, ihre Politik der Obstruktion einfach fortzusetzen – bis ins nächste Jahr hinein; denn dann wird ein neuer Kongress gewählt. Als Trump sein Amt antrat, verfügten die Republikaner in beiden Kammern über keine satten, aber doch über ausreichende Mehrheiten. Nach der Zwischenwahl 2018 war die Mehrheit im „House“ weg. Obama war es acht Jahre zuvor ähnlich ergangen: Zu Beginn seiner Präsidentschaft hatten die Demokraten die Mehrheit in beiden Kammern, nach der Wahl 2010 übernahmen die Republikaner die Kontrolle im Repräsentantenhaus; es begann eine Phase von „divided government“. Jetzt erwarten Fachleute, dass sich die Geschichte nach der Kongresswahl im November nächsten Jahres wiederholen wird; und zwar auch deshalb, weil demographische Verschiebungen im Land und neue Wahlkreiszuschnitte den Republikanern in die Hände spielen dürften.
Diese Gefahr vor Augen, wird die Regierung Biden weiter aufs Tempo drücken und hoffen, dass sich der Ansatz politisch und strategisch auszahlen wird, Amerika „besser wiederaufzubauen“ und die Amerikaner wieder mit dem Staat zu versöhnen: indem ein Damm gegen ein neuerliches Erstarken des Populismus errichtet wird – das ist der innere Aspekt – und indem auf erneuerter wirtschaftlicher und sozialer Grundlage die Auseinandersetzung mit China erfolgreich geführt werden kann.
Die für amerikanische Verhältnisse deutliche Hinwendung zu einem Staat, der lenkt, umverteilt und Marktverwerfungen korrigiert, wird getragen von der Überzeugung, dass die Wiederherstellung des Vertrauens der Menschen in die politischen Institutionen von fundamentaler Bedeutung ist. Dieses Vertrauen ist ein Instrument im Konflikt der Systeme. Präsident Biden hat es so formuliert: „Wir müssen zeigen, dass die Demokratie in dieser sich verändernden Welt immer noch das liefern kann, was unsere Bevölkerung braucht.“ So sieht Biden seine Mission, als eine Art Reha, und die der anderen demokratisch regierten Länder.
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