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#„Paralleljustiz ist ein frontaler Angriff auf den Rechtsstaat“

„„Paralleljustiz ist ein frontaler Angriff auf den Rechtsstaat““

Vor fünf Jahren kam es in Nordrhein-Westfalen auch deshalb zum Machtwechsel, weil die CDU im Wahlkampf erfolgreich mit dem Thema Innere Sicherheit mobilisieren konnte. In ihrem Koalitionsvertrag versprachen CDU und FDP dann, für diverse Kriminalitätsphänomene Lagebilder vorzulegen. Zum Thema Clankriminalität gibt es mittlerweile jährlich ein neues Lagebild. Laut dem jüngstem sind zwischen Rhein und Weser 112 kriminelle Großfamilien aktiv. Ähnlich konkrete Angaben blieb Justizminister Peter Biesenbach (CDU) schuldig, als er am Donnerstag das bundesweit erste Lagebild zur Paralleljustiz aus familien- und strafrechtlicher Perspektive vorstellte.

„Leider kann ich keine Zahlen und Statistiken zu den verschiedenen Ausprägungen präsentieren.“ Es liege in der Natur der Sache, dass die meisten Taten unentdeckt blieben. Im Auftrag des nordrhein-westfälischen Justizministeriums haben drei Forscher deshalb versucht, durch mehr als 200 Interviews mit Praktikern aus der Richterschaft, der Staatsanwaltschaft, der Polizei und durch die Auswertung von Verfahrensakten das Dunkelfeld dieses – wie Biesenbach formuliert – „äußerst komplexen Phänomens“ wenigstens ein wenig zu erhellen.

Religion spielt nicht immer die bestimmende Rolle

„Paralleljustiz ist ein frontaler Angriff auf den Rechtsstaat“, sagte der an der Universität Erlangen-Nürnberg lehrende Rechts- und Islamwissenschaftler Mathias Rohe. Religion spiele – anders als in der medialen Wahrnehmung – nicht durchweg eine bestimmende Rolle. Paralleljustiz sei vielmehr ein milieuspezifisches Problem. Kulturell geprägte Milieus, deren Denken in der patriarchalisch geführten Großfamilie mit Gewalterziehung und formalen Ehrbegriffen verhaften ist, wendeten auch in Deutschland ihre eigenen Regeln an. Als milieuspezifisches Phänomen existiere Paralleljustiz in Nordrhein-Westfalen in nennenswertem Umfang. „Es geht um weit mehr als nur um Einzelfälle.“

Peter Biesenbach (CDU), Justizminister von Nordrhein-Westfalen, am Donnerstag in Düsseldorf im Justizministerium bei der Vorstellung des Lagebildes Paralleljustiz


Peter Biesenbach (CDU), Justizminister von Nordrhein-Westfalen, am Donnerstag in Düsseldorf im Justizministerium bei der Vorstellung des Lagebildes Paralleljustiz
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Bild: dpa

Wie Rohe betonte auch Clara Rigoni vom Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht, dass Paralleljustiz in Gruppen mit starken Loyalitätserwartungen und hoher Sozialkontrolle gedeiht. Wichtiger als religiöse Aspekte seien Verwandtschaft, nationale Identität oder wie im Fall von kriminellen Rockergruppen oder der Mafia gemeinsame Gewinninteressen. Der strafrechtliche Schwerpunkt im Zusammenhang mit Paralleljustiz liegt laut Rigoni in NRW bei Körperverletzungs- und Tötungsdelikten, Vermögens- und Rauschgiftdelikten, Betrug, Nötigung, Bedrohung, Entführung, Menschenhandel und Zwangsheirat.

Eine feste institutionelle Ausprägung der Paralleljustiz etwa durch Friedensrichter gibt es nach Erkenntnissen von Islamwissenschaftler Rohe im bevölkerungsreichsten Bundesland „nur in sehr beschränktem Umfang“. Verbreitet sei dagegen, dass Autoritätspersonen aus bestimmten Familienverbänden Konfliktbeilegung „mit unmittelbarem Zwang oder starkem sozialen Druck betreiben“. Opfer von Paralleljustiz sind die jeweils Schwächeren – in patriarchalischen Milieus also meist Frauen und Mädchen.

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Justizminister Biesenbach kündigte an, Nordrhein-Westfalen werde kurz- und mittelfristig verstärkt sowohl repressiv als auch präventiv gegen Strukturen der Paralleljustiz vorgehen. Die Forscher empfehlen neben Aussteiger-, Opfer- und Zeugenschutzprogrammen eine möglichst frühe Beweismittelsicherung. Denn ein regelmäßig auftretendes Problem ist, dass Zeugen im Laufe von Strafverfahren ihre ursprünglichen Aussagen unter dem Druck ihrer Milieus ändern oder zurückziehen.

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