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#Prenzlauer Berg, was ist nur aus dir geworden?

Prenzlauer Berg, was ist nur aus dir geworden?

Prenzlauer Berg war mal ein ziemlich authentischer Ost-Bezirk, später Heimat für Punks, Boheme und Künstler. Nach dem Mauerfall ein lustiges Experimentierfeld für alles, was die Wiedervereinigung hätte sein können. Und irgendwann ein fortschrittlicher, ökologisch bewusster Kiez. Doch nun? Gentrifizierer, Investoren und selbstgerechte Helikoptereltern vermischen sich mit schrägen Verschwörungstypen, Querdenkern und Impfgegnern. Die „coronakritischen“ Ereignisse im Scotch & Sofa, einer einst angesagten Bar, sind nur ein erschreckender Zwischenstand des Niedergangs.

Scotch & Sofa Bar in Prenzlauer Berg, 2005. Foto: Imago/Camera4
Scotch & Sofa Bar in Prenzlauer Berg, 2005. Foto: Imago/Camera4

Ich habe dich gemocht, Prenzlauer Berg – kurz zumindest

Ach, Prenzlauer Berg. Du trauriger, reicher, ignoranter Bezirk. Was habe ich dich gemocht, nicht sehr lange, aber immerhin, du warst doch mal toll. Die Straßen zwischen Helmholtz- und Kollwitzplatz, die schönen, heruntergekommenen Mietshäuser, die lustigen Kneipen, die großen Wohngemeinschaften, die Partys, Bastard, Knaack, Pfefferberg, die Lychener 60, hier und da ein besetztes Haus. Alteingesessene, Ost-Berliner Künstlertypen, Studenten aus Westdeutschland und einige neugierige West-Berliner lebten zusammen, als hätte es die Mauer nie gegeben. So war es in Prenzlauer Berg in den 1990er-Jahren.

Mehr als ein nostalgisches Gefühl ist davon nicht übrig geblieben. Dein Niedergang wurde so oft besungen. Die zugezogene Erbengeneration machte sich breit. Als die Preise noch niedrig waren, kauften die Töchter und Söhne Hessens, Niedersachsens und Baden-Württembergs die Wohnungen weg, als wären es frische Schrippen unten beim Bäcker. Saturierte Akademiker mit West-Sozialisation verdrängten die alten Bewohner, der Osten verschwand. Die DDR bildete höchstens noch eine mythische Kulisse, von der man beim Bio-Beaujolais und einem Stück Maroilles fermier seinem Besuch am großen Holztisch in der Wohnküche erzählte.

Ja, die Gentrifizierung hat dich verändert. Die Schwaben kamen, Begriffe wie „Porno-Hippie-Schwaben“ und „Schwabylon“ machten die Runde, die alten Ressentiments machten sich breit. West gegen Ost, Reiche gegen Arme, Berliner gegen Zugezogene. Alle Feindbilder wurden in Prenzlauer Berg bedient.

Guter Wein. Guter Kaffee. Gutes Brot. Alles gut.

Dann kamen die Kinder, „Pregnant Hill“ schrieben die Zeitungen in der ganzen Welt. Und es folgten die kleinen süßen Kindergärten, die schicken Kinderspielzeugläden mit pädagogisch wertvollen Bauklötzen aus nachhaltiger Produktion, das biologisch korrekt produzierte Eis und der ganze andere Schnickschnack, der zum gehobenen Familien-Lifestyle der neuen Prenzlauer Berger Bourgeoisie gehörte. Guter Wein. Guter Kaffee. Gutes Brot. Alles gut. Manufactum-Kultur at it’s best.

Die Clubs zogen weg, schlossen für immer oder wurden steril. Man konnte in Prenzlauer Berg zwar vorzüglich speisen, aber Kultur findet hier kaum noch statt. Kultur macht Lärm, das wollten die neuen Bewohner nicht. Die Kinder müssen schließlich ausschlafen. Das Ausland in der Lychener Straße hielt zuletzt noch durch, aber jenseits der Kulturbrauerei, gibt es wenig. Die spannenden Dinge, ob Kunst, Musik, Nachtleben oder Literatur, passieren in Berlin woanders. In Neukölln, Friedrichshain oder Kreuzberg, selbst Mitte hat mehr zu bieten.

Am Wochenende auf dem Kollwitzmarkt. Foto: Imago/Sabine Gudath
Am Wochenende auf dem Kollwitzmarkt. Foto: Imago/Sabine Gudath

Es entstand ein Wohlfühlparadies in Prenzlauer Berg und auch das Denken veränderte sich. Soziale Verantwortung und ökologisches Bewusstsein paarten sich mit Ignoranz und Egoismus. In Sachen Ernährung, Erziehung und Stadtentwicklung, da kann man dem neuen Typus des Prenzlauer Bergers nichts vormachen.

Irgendwann schlich sich etwas Neues in dieses Denken ein

Und irgendwann schlich sich etwas Neues in dieses Denken ein. Etwas Unangenehmes. Weil man ja sowieso gut bescheid wusste, weil man zu den gesellschaftlichen Gewinnern zählte, entstanden aus einer in den Yogastudios und Meditationsräumen geschmiedeten Spiritualität und finanziell unabhängiger Selbstgerechtigkeit, krude Überzeugungen.

Impfen wurde zum Problem. Die Prenzlauer Berger, so will es das Klischee, begannen Masernpartys zu feiern und ihren Nachwuchs vor den schädlichen Substanzen der Pharmaindustrie zu schützen. Von dort ist der Schritt zu Verschwörungserzählungen nicht mehr weit. Merkel, Gates, 5G, Giftstoffe zuweilen auch QAnon und anderer Unfug. Corona erhitzte die Situation, beschleunigte Entwicklungen, die Querdenker-Demos wurden auch für diese Form des Prenzlauer Berger Denkens attraktiv.

Was haben wir uns über Heilpraktiker*innen und Yogalehrer*innen aufgeregt

Was haben wir uns über Heilpraktiker*innen und Yogalehrer*innen aufgeregt, die neben Neonazis mit Reichskriegsflaggen marschierten, die mit Blumen und Seifenblasen in Kontakt mit irgendeinem Hippiekosmos traten. Veganer Eigenheimbesitzer, die von seltsamen Freiheitsbegriffen, Ermächtigungsgesetzen, Totalüberwachung und Merkel-Diktatur schwadronierten.

Wie man nach den neusten coronakritischen Ereignissen in der einst coolen Szene-Kneipe Scotch & Sofa gesehen hat, kam ein Teil dieses Denkens just aus dem Käse-und-Wein-Kiez rund um Rykestraße und Kastanienallee. Dort trafen sich zuletzt, auf Einladung des Scotch & Sofa-Betreibers, selbsternannte Freiheitskämpfer, die Corona für eine Art Grippe halten und den Lockdown für eine diktatorische Maßnahme.

Die prominente Hutdesignerin Rike Feurstein war dabei, der „Querdenken“-Anwalt Reiner Füllmich und andere. Bei dem Treffen ging es gegen die Corona-Maßnahmen, gegen die Schließungen von Bars und Restaurants, aber auch um eine Umstrukturierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Sicher, nicht alle Prenzlauer Berger denken so. Aber der Weg, den der Bezirk seit dem Mauerfall gegangen ist, ist zuweilen erschreckend.


Mehr Berlin

Die 1980er-Jahre in West-Berlin waren eine ziemlich besondere Zeit. Die Mauer schloss die Stadt ein und die Welt drehte sich etwas langsamer an der Spree: 12 Dinge, die jeder kennt, der in West-Berlin der 1980er gelebt hat. Wer noch nicht solange dabei ist: An diese Dinge müssen sich Zugezogene gewöhnen.

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