#Eine Stadt sucht ihr Oberhaupt
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„Eine Stadt sucht ihr Oberhaupt“
An diesem Wochenende stellt sich Deutschlands bekanntester Kommunalpolitiker zur Wiederwahl. Boris Palmer, der konservative Ökologe, der seine Mitgliedschaft bei den Grünen wegen rassistischer Aussagen gerade ruhen lassen muss, will die Universitätsstadt Tübingen weitere acht Jahre regieren. Der an Besonderheiten reiche Personenwahlkampf befindet sich in der Endphase: Palmer blieb in dieser Woche wegen einer Corona-Infektion allen Präsenzveranstaltungen fern. Von den sechs Bewerbern gelten die grüne Kreisrätin Ulrike Baumgärtner und die Sozialdemokratin Sofie Geisel als die beiden Herausforderinnen, die Palmer möglicherweise bei der Erstwahl am Sonntag um die absolute Mehrheit bringen könnten.
Baumgärtner ist die Kandidatin des grünen Stadtverbands. Geisel wird nicht nur von der SPD, sondern auch von der FDP und der linken „Tübinger Liste“ unterstützt. Überlagert wird der Wahlkampf von einem erbitterten Streit innerhalb der Grünen: Auf der einen Seite stehen die Weggefährten Palmers, die sich an seinen Plädoyers für eine restriktive Flüchtlingspolitik und seiner Ablehnung der Identitätspolitik wenig stören. Sie finden sich vor allem in der Gemeinderatsfraktion. Auf der Gegenseite stehen der grüne Stadtverband und viele Mitglieder: Sie wollen an der Spitze der Stadt eine Oberbürgermeisterin mit klassischer grüner Haltung und Integrationsfähigkeit.
Strategisches Ziel von Baumgärtners Unterstützern und Palmers innerparteilichen Gegnern ist es, eine absolute Mehrheit des Amtsinhabers an diesem Sonntag zu verhindern. Bei einer möglichen Zweitwahl – eine Stichwahl im klassischen Sinne gibt es in Baden-Württemberg nicht, denn theoretisch können bei der Zweitwahl auch neue Bewerber antreten – wollen sie erreichen, dass sich hinter Baumgärtner möglichst viele Wähler von SPD, FDP und CDU versammeln. Dazu müsste sie aber erst einmal Platz zwei hinter Palmer erreichen. Beide Herausforderinnen verfügen weder über die Bekanntheit noch das Show-Talent des jetzigen Oberbürgermeisters.
Wenn Palmer gewinnt, haben die Grünen ein Problem
Dessen Niederlage wäre ein Sieg der Parteilinken und der jüngeren Realos, die sich zur Identitätspolitik bekennen. Ein Sieg Palmers wiederum würde einen Großteil der Funktionäre des grünen Landesverbands in Erklärungsnöte bringen, weil die ehemaligen Landesvorsitzenden Sandra Detzer und Oliver Hildenbrand das Ausschlussverfahren maßgeblich betrieben haben. Auch die jetzigen Landesvorsitzenden Lena Schwelling und Pascal Haggenmüller müssten nach einem Sieg Palmers eine kritische Richtungsdebatte führen: Sie könnten der Frage nicht ausweichen, warum sie einen erfolgreichen Parteifreund hinauswerfen wollten. Die Parteilinken arbeiten schon länger daran, den Landesverband nach dem Ende der Ära Kretschmann deutlich weiter links zu positionieren. Ob die Grünen dann noch eine 30-Prozent-Partei der linken Mitte sein können, ist mehr als fraglich. In jeden Fall würde Palmer in einem wichtigen Amt in der Regierung stören. Deshalb hätte sich das Parteiausschlussverfahren gegen den populären Kommunalpolitiker für den linken Parteiflügel auch gelohnt, wenn er gewinnen würde. Beim internen Streit mit den Parteilinken schlägt Palmer häufig geradezu Hass entgegen.
Boris Palmer wiederum hat spätestens seit der Flüchtlingskrise 2015 die Geduld seiner Parteifreunde hartnäckig strapaziert und es geschafft, sich vom Nachfolgekandidaten für das Ministerpräsidentenamt zum geschmähten Außenseiter zu wandeln. Seine Gegnerinnen üben fast bei jedem Auftritt Kritik an Palmers Stil. Der Oberbürgermeister will darüber aber nicht reden und auch nichts ändern. Der „Pforzheimer Zeitung“ sagte er erst vor wenigen Tagen: „Ich halte die Stilfrage für absolut nebensächlich, wenn in Europa Krieg herrscht, das Erdgas ausgehen könnte und die Wälder brennen. Wer sich da mit solchen Nebensachen beschäftigen will, soll das machen. Ich nicht.“
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