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Psychohäuser unseres Inneren

Paragone ist der Wettstreit zwischen Malerei und Skulptur. Die eine kann illusionieren, die andere ist wahr. Seit Beginn der Avantgarde tritt eine dritte Gattung hinzu: der Künstlerraum. Er ist tendenziell skulptural. In seinem Zentrum steht die Realität unmittelbaren Wahr-Nehmens.

Mit dem „Schmerzraum“ von Beuys, den die Realität der Sowjetunion überhöhenden Memorabilien von Ilya und Emilia Kabakov, den gefrieren lassenden Gedenkinstallationen an das weggemordete jüdische Leben Christian Boltanskis und den ihre Besucher an den Rand der Selbstkontrolle führenden Psychofallen Bruce Naumans hatten diese Erweiterungen Meilensteine. Seither folgt von den Jüngern zumeist nur pathologisch als „Installatitis“ zu diagnostizierende Kunstbetriebsmode.

Eine große Ausnahme ist Gregor Schneider mit seinen physisch wirkenden Beklemmungen. Alles begann in Rheydt. In der Stadt, die 1975 Mönchengladbach zugemeindet wurde und von den Schaufelradbaggern in der nahen Braunkohlengrube noch so gerade verschont wird. In ihr wuchs Schneider auf, trat aber nicht in die elterliche Firma ein, sondern baute nebenan sein „Haus u r“ – und studierte Kunst. Es ist mittlerweile eines der bekanntesten Häuser der Kunstwelt. Räume in Räumen in Räumen finden sich dort, klaustrophobische Engen, aber auch Aufenthaltsplätze für zwei und dunkelste Schmuddelecken. Atmosphärische Abgründe tun sich in ihm auf. Kaspar Hauser west hier.

Kampf gegen tradierte Präsentationsriten

Als Surrogat, als „Totes Haus u r“, erhielt es 2001 auf dem Schutthügel des 1902 eingestürzten Campanile von San Marco den Goldenen Löwen der Biennale von Venedig. Es folgten Ausstellungen in großen Museen der Welt und im Düsseldorfer K21 wie in der Bonner Bundeskunsthalle. Aber es folgten auch Absagen an den Künstler. Ein schwarzer Würfel, die Kaaba in Mekka zitierend, durfte 2003 nicht auf den venezianischen Markusplatz und Mies van der Rohes Gartenzimmer im Krefelder Haus Lange nicht zum Sterberaum geweiht werden. Angst vor islamistischem Terror und vor ethisch-moralischen Diskussionen präjudizierten kuratorische Entscheidungen. Und Duisburgs Oberbürgermeister erklärte seine Bewohner nach der Loveparade-Katastrophe für „nicht reif“, Enge in Schneiders Röhren zu erfahren.

Den Künstler ficht das an. Es treibt ihn um, dass die zumeist öffentlich bestallten Kunstbetriebler bevorzugt tradierte Präsentationsriten pflegen. Doch es bringt ihn nicht ab von seinem Weg. Er sammelt Räume – atmosphärisch brisante. So wie Maler Todes- oder Gefängniszellen, „Bordellchen“, endlose Raumfluchten und Sterbende bildlich illusionieren, so baut er Räume. Und so wie Verliese von Unauffindbaren wie Natascha Kampusch den Boulevard interessieren dürfen, so wie Lee Miller in Hitlers Badewanne zur Ikone wurde, so kaufte Gregor Schneider das Geburtshaus von Joseph Goebbels.

Atmet das Geburtshaus von Joseph Goebbels die Schuld, die er später auf sich lud?


Atmet das Geburtshaus von Joseph Goebbels die Schuld, die er später auf sich lud?
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Bild: Gregor Schneider

Es steht in Rheydt, gleichsam vis-à-vis seinem „Haus u r“. Er zog in die vier Wände des späteren Agitators, durchkämmte jeden Winkel nach „Flöhen“ der Erinnerung, inhalierte den Odem und begann das Haus von innen zu enthäuten. Er sicherte Utensilien, schlug den Putz ab, riss Türen und Dielen raus und verfrachtete alles auf einen LKW. Den gleichsam psychopathologischen Abstrich verbrachte er nach Warschau an die Gettogrenze.

Steckt die Schuld in Goebbels Haus?

Ist in diesem Bauschutt Historie, Wahnsinn, gar verbrecherische Schuld ruchbar? Gibt es die Materie gewordenen Energien, die das Geburtshaus des Propagandisten von Völkermord gleichsam kontaminieren, beziehungsweise umgekehrt die, die dem dort als Säugling Umsorgten den Dämon eingetrichtert haben? Atmen abgenommene Totenmasken noch den Geist des Verstorbenen? Steckt der Geist der Wannseekonferenz noch in der Villa in Berlin? Und auf die Malerei bezogen: Tritt aus Edgar Degas’ „Interieur“ in Philadelphia die Brutalität der soeben vollzogenen Vergewaltigung? Kommt in Vilhelm Hammershøis Bildern sich öffnender Türen in ausgangslosen Raumlabyrinthen Weggesperrtheit so zum Aufscheinen, wie sie Rainer Werner Fassbinder in „Martha“ filmisch inszenierte?

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