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#Queere Community in Russland: „Ich muss so leise und unsichtbar wie möglich werden“

In Russland wurde die sogenannte internationale LGBTQ+-Bewegung vom Obersten Gerichtshof des Landes als extremistisch eingestuft. Das Gericht machte zunächst keine Angaben dazu, ob sich das Urteil auf bestimmte Personen oder Organisationen bezieht. Am Wochenende nach der Urteilsverkündung wurden in Moskau Nachtclubs für queere Menschen durchsucht, dabei soll es zu Festnahmen gekommen sein. Aktivist:innen vermuten, dass das Gesetz auf eingetragene LGBT-Organisationen und Aktivist:innen abzielt, aber auch auf offen queer lebende Russ:innen. Das Urteil gehört zu einer Serie von Beschlüssen, die queere Menschen denunzieren und illegalisieren sollen. Hier berichten vier queere russische Staatsbürger:innen, was das neue Gesetz für sie bedeutet.

„Ich glaube, dass die russischen Behörden ein Feindbild benötigen“

Mark, 38, trans Aktivist, kommt aus Kaliningrad und arbeitet für eine Initiative für trans Personen.

In den zwei Wochen zwischen der Ankündigung der Klage und der Gerichtsverhandlung konnte ich kaum schlafen. Ich fing an, wieder Antidepressiva zu nehmen. Sie halfen nicht. Es ist schmerzhaft zu sehen, wie zerstört wird, was wir in den vergangenen Jahren aufgebaut haben.

Selbsthilfegruppen und Treffen für LGBT-Personen gelten jetzt als „Verleitung und Anwerbung für eine extremistische Organisation“. Beiträge in den sozialen Medien gelten als „Erstellung und Verbreitung von extremistischem Material“. Und die Ausbildung von Ärzt:innen für die Arbeit mit trans Personen gilt als „Beteiligung an einer extremistischen Organisation“. Es ist seltsam, dass der Versuch, das Leben von Menschen zu verbessern, zu einem Verbrechen erklärt wird. Es geht um sehr hohe Strafen. Ich finde es beängstigend, ins Bett zu gehen und nicht zu wissen, ob es bei mir morgen eine Hausdurchsuchung geben könnte. Aber momentan brauchen die Menschen unsere Unterstützung mehr denn je. Wir müssen nach neuen Wegen suchen, um zu helfen. Noch nie zuvor haben wir unter so viel Druck gearbeitet.

Es besteht immer die Gefahr, zur Zielscheibe zu werden.

Mark

Wir Aktivist:innen setzen unsere Arbeit in Russland auch fort, weil die meisten trans Personen gar nicht die Möglichkeit haben, das Land zu verlassen. Aufgrund von Diskriminierung haben transidente Menschen oft keine Ausbildung, sprechen nur Russisch, haben kein Geld und keinen Reisepass. Die meisten waren noch nie im Ausland. Viele haben Kinder oder ältere Verwandte, die nicht zurückgelassen werden können.

Ich glaube, dass die russischen Behörden ein Feindbild benötigen, um von den eigentlichen Geschehnissen im Land abzulenken – und die LGBT-Gemeinschaft wurde dazu ernannt.
Ich liebe mein Land und die Stadt, in der ich lebe. Eigentlich möchte ich mein ganzes Leben hier verbringen. Aber auch ich werde gehen müssen, wenn das persönliche Risiko zu groß wird. Vorerst bleibe ich, aber einige Kolleg:innen aus meinem Team haben das Land bereits verlassen.

Obwohl das Gesetz wahrscheinlich in erster Linie Aktivist:innen wie mich treffen wird, kann sich keine LGBT-Person in Russland sicher fühlen. Es besteht immer die Gefahr, zur Zielscheibe zu werden: für einen Regenbogenaufnäher oder für einen Kommentar in sozialen Netzwerken – auch wenn der vor fünf Jahren geschrieben wurde. Nach russischem Recht gilt so ein Kommentar als „fortgesetzte Straftat“. Trans Personen sind besonders gefährdet, weil sie durch Änderungen des Geschlechtseintrags in offiziellen Dokumenten leicht zu finden sind.

„Natürlich denken meine Partnerin und ich darüber nach, Russland zu verlassen“

Farida, Aktivistin, lebt in Kazan, der Hauptstadt der russischen Republik Tatarstan.

Das Urteil überrascht mich nicht. Aber das Gefühl, dass meine Heimat mich zutiefst ablehnt, verdrängen will und mich als schädliches und gefährliches Element ansieht, ist jetzt stärker als je zuvor.

Ich bin wütend auf meine Freund:innen, die sich seit der Entscheidung nicht bei mir gemeldet haben.

Farida

Für mich bedeutet das, dass ich durch meine Profile in den sozialen Netzwerken gehe und alle Inhalte entferne, die auf meinen Aktivismus für LGBT-Rechte verweisen könnten. Einige Konten habe ich ganz geschlossen, weil ich große Angst vor strafrechtlicher Verfolgung habe. Mir ist bewusst, dass ich so leise und unsichtbar wie möglich werden muss.

Ich bin wütend auf meine Freund:innen, die sich seit der Entscheidung nicht bei mir gemeldet haben, um mich zu fragen, wie es mir geht. Fast noch wütender machen mich aber diejenigen, die jetzt Ratschläge von mir wollen, ob sie meine Beiträge noch liken dürfen oder mit mir Kontakt haben dürfen, ohne sich strafbar zu machen.

Natürlich denken meine Partnerin und ich darüber nach, Russland zu verlassen – schon seit der Verschärfung des Gesetzes zur „LGBT-Propaganda“ im vergangenen Jahr. Jetzt wird unsere Ausreise umso drängender. Ich denke, dass 40 Prozent von Kazans queerer Community bereits emigriert sind. Alle, die die finanziellen Mittel dazu hatten.

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