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#Radikal modern: RTL spielt die Passionsgeschichte nach

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In Kassel, dem neuen Zion, veranstaltete RTL zum zweiten Mal „Die Passion“, eine Art Jesus-Musical mit vielen C-Prominenten, einem stark ausgeprägten Willen zur Modernisierung und einer Stulle zum Abendmahl.

Die Stadt Kassel im Nordhessischen hat zwei Bahnhöfe. An dem einen halten die ICEs auf ihren pfeilschnellen, nur ab und zu durch Stellwerkstörungen gebremsten Fahrten durch Deutschland. An dem anderen, am Hauptbahnhof im Zentrum, ließ der Künstler Lois Weinberger schon anlässlich der Documenta X im Jahr 1997 seine Gräser zwischen den Gleisanlagen sprießen.

Wer hier ankommt, kommt aus Melsungen oder Zierenberg, allenfalls noch aus Fulda. Vom Hauptbahnhof ist es dann nicht weit zum Friedrichsplatz. Man kann bequem zu Fuß gehen. Und weil in Kassel eben alle fünf Jahre eine Documenta stattfindet, werden viele Menschen diesen Weg schon einmal gegangen sein, um sich mit moderner Kunst vertraut zu machen.

Am Mittwoch fiel dieses große Wort „Moderne“ allerdings in einem Kontext, in dem man es nicht so schnell vermutet hätte: In Kassel war „Die Passion“ zu Gast, die RTL-Show, die sich nun schon zum zweiten Mal vorgenommen hat, „die größte Geschichte der Menschheit“ neu und „modern“ zu erzählen. RTL überbietet sogar noch Hollywood: „The Greatest Story Ever Told“, so hieß einmal ein Bibelfilm.

Die größte Geschichte ist die von Jesus, dem jüdischen Propheten, der vor bald 2000 Jahren in Jerusalem hingerichtet wurde. Zwar huldigen immer noch Teile der Menschheit anderen Propheten, für einen Integrationssender wie RTL sind das aber Übergangserscheinungen.

Die größte Geschichte aller Zeiten

Eines Tages werden sie alle gepilgert kommen, um von der Constantin Entertainment GmbH und von der Mediawater Hilversum (den ausführenden Firmen für RTL) die frohe Botschaft zu empfangen: Jesus ist jetzt modern. Und Kassel ist der neue Zion. Abzüglich des Herkules’, denn der wurde von dem Schauspieler Hannes Jaenicke in der Rolle des Erzählers ausdrücklich als Schandmal fürstlicher Extravaganz ausgewiesen. Und damit dem Verräterapostel Judas zugewiesen, der bei der Riesenstatue hoch über Kassel eine Gesangsnummer absolvierte.

„Die Passion“ ist eine Art Jesus-Musical. Sie steht damit in einer großen Tradition; wenn man die „Matthäuspassion“ dazu zählt, sogar in einer sehr großen Tradition. Aber es reicht, wenn man „Jesus Christ Superstar“ von Andrew Lloyd-Webber und Tim Rice als Richtschnur nimmt, wobei das ja vielleicht eine Rockoper war, jedenfalls aber kein Oratorium. Viel gespielt wird bei der „Passion“ nicht, wodurch die ganze Sache auch einen Hang ins Oratorische bekommt.

Das Kreuz kam zum Propheten - beim Live-Spektakel „Die Passion“ in Kassel.


Das Kreuz kam zum Propheten – beim Live-Spektakel „Die Passion“ in Kassel.
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Bild: dpa

Aber vielleicht belassen wir es in diesem Fall einfach bei dem allgemeineren Wort „Show“. Große Show dann klarerweise. Vor 8000 Menschen mit ergriffenen Gesichtern unter der Regenhaut, die wegen des Wetters erforderlich war. Ostern ist ja eigentlich das Fest, das den Frühling bringt. Seit aber der Golfstrom schwächelt, droht Deutschland zur planetarischen Frostbeule zu werden. In diesem Zeichen stand „Die Passion“ 2024 auch, das war aber kein Modernitätssignal.

Vor zwei Jahren hat RTL es schon einmal probiert: die letzten Tage Jesu in einer heutigen Version, mit B- oder C-Prominenz und eingängigen Melodien. Eine Übernahme aus den Niederlanden, wohin der größte Privatsender immer schon gute Kontakte hatte. Der Einzug in Jerusalem (damals auf einem Esel, nun mit der Deutschen Bahn), das letzte Abendmahl, der Garten Gethsemane, das Urteil durch Pilatus, die Dornenkrone, der Tod am Kreuz – man kennt die Stationen, vielleicht auch von einem Kreuzweg, wie ihn viele Gemeinden haben.

In Kassel musste das Kreuz zum Propheten kommen. Kern der Inszenierung war eine Prozession, in der Menschen das Kreuz (230 Kilo schwer, sechs Meter lang, Strecke sechs Kilometer) zum Friedrichsplatz trugen. Man konnte sich für dieses Amt bewerben und hatte bessere Chancen, wenn man bereit war, eine erbauliche Geschichte beizusteuern. Kevin aus Kassel etwa ist 2013 „zu Jesus gekommen“ und setzt sich dafür ein, dass in seiner Stadt ein Kältebus eingerichtet wird. Dabei wird er künftig von Nadja Benaissa unterstützt, die am Mittwoch die Maria sang und anschließend gestand, dass sie einen Neoprenanzug unter ihrem blauen Kleid trug.

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