#Radikaler Selbstversuch

Was für ein schräger Vogel ist das denn?! Anfang Dezember zieht der Mann mit seinem 13-jährigen Sohn Tom bis Weihnachten in den Wald im abgelegenen Derbyshire – ohne Lebensmittel, ohne Campingausrüstung. Sie essen das Fleisch überfahrener Tiere vom Straßenrand. Sie schlafen oft hungrig in einem durchlässigen Unterschlupf – wenn sie Schlaf finden, denn die Geräusche der Nacht sind zum Fürchten. Tagsüber beobachten sie ihre tierischen Nachbarn und lernen wahrzunehmen, wie ein Baum tatsächlich aussieht.

Das ist ein Sachbuch plus persönlichem Entwicklungsroman plus expressionistischem Abenteuertagebuch. Es überrascht mit ungewöhnlichen Gedanken, poetischer Sprache – und Verrücktheit. Aber es wäre falsch, diesen Charles Foster einfach auf den „spleenigen Engländer“ zu reduzieren. Der gelernte Tierarzt und Experte für Medizinrecht hatte eine tiefe Dissonanz empfunden zwischen seiner modernen Lebensweise und dem, was er als seine wahre Natur erahnte. Er wollte im Wald „seine innere Festplatte deinstallieren“ und in den Bewusstseinszustand eines Jägers und Sammlers vor Zehntausenden von Jahren zurückfinden.

Danach versuchte er zu erkennen, wie sich dieses ursprüngliche Bewusstsein bei den ersten Bauern veränderte – und schließlich im Zeitalter der Aufklärung die große Entfremdung einsetzte. Ein radikales Experiment, das das Lesen lohnt. Thorwald Ewe

Charles Foster
JAGEN, SAMMELN, SESSHAFT WERDEN
Malik, 416 S., € 24,–
ISBN 978–3–89029–553–4

© wissenschaft.de – Thorwald Ewe