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#Risikokommunikation und Rätselraten – Gesundheits-Check

Risikokommunikation und Rätselraten – Gesundheits-Check

Risikokommunikation könnte man ganz einfach als Hilfe von Fachleuten für Laien bei der Bewertung von Risiken definieren. Rätselraten hat eher etwas damit zu tun, wenn Fachleute Laien über etwas, was sie selbst wissen, zum Spaß nur Hinweise geben, also die Hilfe etwas zurückhaltender ausfällt.

Vor ein paar Wochen hatte ich hier die irritierende „Unstatistik des Monats“ des von mir ansonsten sehr geschätzten Gerd Gigerenzer vorgestellt. Er hatte darin die Aussage zur Wirksamkeit des BioNTech-Impfstoffs risikokommunikativ zur Unkenntlichkeit entstellt. Vielleicht war’s auch der Praktikant.

Im Kern ging es darum, dass die absolute Risikoreduktion durch die Impfung gering ist. Das ist trotz beeindruckender absoluter Infektionszahlen bei recht geringen Prävalenzraten, also der aktuell Infizierten bezogen auf die Bevölkerung, zwangsläufig so. Wenn man von wenig den größten Teil wegnimmt, wird aus wenig halt noch etwas weniger. Wenn es aber nicht um wenig ginge, ginge es um viel. Eigentlich ganz einfach und darum sollte man das nicht unkommentiert in den Raum stellen – in dem Fall also die absolute Risikoreduktion durch die Impfung (derzeit klein) gegen die relative Risikoreduktion durch die Impfung (schon jetzt groß, wie auch bei höheren Infektionszahlen) in Stellung bringen.

Gigerenzer hat öffentlichkeitswirksam die von ihm genannten 90 % Impfstoffwirksamkeit des BioNTech-Impfstoffs (die relative Risikoreduktion) anhand der sehr kleinen absoluten Risikoreduktion relativiert. Viele Medien, selbst das Ärzteblatt, haben es kritiklos nachgedruckt. Gerd Gigerenzer ist eine Autorität. Den Menschen, die sich fragen, lohnt sich die Impfung für mich, hat er damit ein Rätelraten aufgegeben. Außerdem hat er, oder war’s der Praktikant, die Zulassungsstudien nicht gelesen, weil er das Ganze auch noch auf die Infektionen statt auf Erkrankungen bezogen hatte. Ob die Impfung vor Infektion schützt, wissen wir bis heute nicht.

Soviel zum Rückblick. Jetzt gibt es einen Korrekturhinweis bei der „Unstatistik des Monats“:

„Gegenüber der ersten Fassung der Pressemitteilung sind zwei Korrekturen eingefügt. Sie folgen beide aus der Tatsache, dass in den zitierten Studien nicht Covid-Infizierte, sondern Covid-Erkrankte betrachtet wurden:
– Statt „Angabe bezieht sich auf Anteil an Infizierten, nicht auf Anteil an Geimpften“ wurde die Zwischenüberschrift korrigiert auf „Angabe bezieht sich auf Anteil an Erkrankten, nicht auf Anteil an Geimpften“
– Entsprechend wurde auch im darauffolgenden Absatz geändert von „Sie ist eine relative Risikoreduktion, die sich auf die Zahl der Infizierten bezieht,…“ in „Sie ist eine relative Risikoreduktion, die sich auf die Zahl der Erkrankten bezieht,…““

Im letzten Absatz der „Unstatistik“ steht aber noch:

„Es ist auch wichtig zu verstehen, dass sich die von BioNTech und Pfizer berichteten „zu 90 Prozent wirksam“ auf die Reduktion von Infektionen, nicht von schweren Erkrankungen oder gar Todesfällen bezieht. Wir können nur hoffen, dass diese Reduktion in gleichem Maße auf schwere Erkrankungen durchschlägt, aber das wird in den derzeitigen Studien nicht untersucht.“

Hier beginnt für mich wieder ein neues Rätselraten. Wurde der Absatz bei der Korrektur vom Praktikanten vergessen, oder meint Herr Gigerenzer hier etwas, was ich nicht verstehe. Kann ja sein, er ist der Risikokommunikationsexperte, ich der Laie.

Zur Relativierung der 90 % gibt es keine Korrektur. Herr Gigerenzer und die Redaktion der „Unstatistik“ haben übrigens auf meine Anfrage dazu nicht geantwortet. Risikonichtkommunikation sozusagen, vielleicht ein neues Forschungsfeld.

Es kommt aber noch besser. Die 90 % sind andernorts von Gigerenzer rehabilitiert. Er ist Direktor des „Harding-Zentrums für Risikokompetenz“, einer inzwischen an der Uni Potsdam verankerten Einrichtung. Eine gute Einrichtung, ich will das Risiko eines Missverständnisses gleich präventiv durch klare Kommunikation minimieren.

Auf der Internetseite des Harding-Zentrums findet man „Faktenblätter“, ein seit ein paar Jahren gepflegtes Kurzinformationsformat in der Gesundheits- bzw. Risikokommunikation, damit auch Laien wie ich verstehen, worum es geht. Dort gibt es jetzt auch ein Faktenblatt zur mRNA-Schutzimpfung gegen COVID-19 für ältere Menschen, gemeinsam mit dem RKI erstellt.

Die Frage, „Wie viele [Ältere] erkranken an COVID-19?“ wird im Faktenblatt unter der Annahme, dass 200 von 1.000 erkranken würden, so beantwortet: Je 1.000 nicht geimpfter älterer Menschen 200, je 1.000 geimpfter älterer Menschen 20. Das ist sehr verständlich. Die relative Risikoreduktion, 180 von 200, sind wieder die 90 %, die wir schon aus der „Unstatistik“ kennen, nur ohne Prozente in absoluten Zahlen ausgedrückt. Gute Risikokommunikation. Hier gehen die 90 % also kritiklos durch. Zu Recht. Oder fast zu Recht. Denn den genannten Datenquellen zufolge müssten es die vielzitierten 95 % sein, von mir aus mit einem Cave versehen, weil man bei den Älteren keine ernstzunehmenden Infiziertenzahlen in den Studienarmen Impfung und Placebo hatte. Aber um 5 % will ich mich nicht streiten, das geht im Konfidenzintervall der Risikoreduktion bei den Älteren unter. Auch dass jetzt vom „Anteil unter der Geimpften“ die Rede ist: egal, Anteil ist Anteil, so genau muss man das vielleicht alles nicht verstehen.

Falls doch, bin ich verwirrt. Was will Gigerenzer Laien wie mir jetzt eigentlich über die Impfung mit dem BioNTech-Impfstoff sagen? Dass der Nutzen marginal ist, gemessen an der absoluten Risikoreduktion zum Zeitpunkt der Zulassungsstudien? Dass 90 % Impfstoffwirksamkeit deswegen eine falsche Information sind? Oder doch nicht, weil 90 % im Faktenblatt seines Risikokompetenzzentrums stehen? Oder dass die 95 % bei den Älteren falsch sind und 90 % richtiger wären, auch wenn es dafür keine Quelle gibt? Oder verstehe ich trotz bester Risikokommunikationsbemühungen von Gerd Gigerenzer etwas grundlegend falsch? Kann ja sein. Es ist eine Einladung zum Rätselraten. Und natürlich wie oft hier zur Risikokommunikation durch Rätselraten.

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