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#Rituale des Abschieds

Rituale des Abschieds

Es gibt wohl keinen besseren Ort, um melancholisch zu sein, als die deutsche Küste. So wie am Mittelmeer gefühlt immer Sommer ist, ist an der Nordsee immer Herbst. Es braucht nicht viel, um sich an einsamen Abenden am windumtosten Strand wie Caspar David Friedrichs Mönch vor der Jenseitspforte zu fühlen, einer so imposant grenzenlosen Pforte allerdings, dass man sich zugleich getröstet fühlt: Hier die Augen zu schließen, es könnte in Ordnung sein. Ein Gedankenschattenspiel solcher Art spielt sich am Ufer von Nordstrand auf dem vielleicht melancholischsten Gesicht des deutschen Fernsehens ab: Ulrich Noethen, abonniert auf lebensechte Rollen mit Tiefgang, ist so etwas wie der personifizierte Herbst. Als Psychiater Joe Jessen, der wie ein Seher aus marginalen Hinweisen komplexe Täterprofile für die Polizei erstellt, erträgt er tapfer eine Parkinson-Erkrankung, aber leidet wie ein Hund am Verkümmern seiner noch nicht geschiedenen Ehe.

Es kommt noch schlimmer. Seine für kostbare Momente wieder zugänglich wirkende Frau Nora (Petra van de Voort) hat Jessen gerade, im Strandkorb, ihre Krebsdiagnose eröffnet. Irgendwann wird sie – oder ihr Geist – ihn fragen, wie er das handhabe mit dem Parkinson. Einfach Angst und Trübsal verdrängen? Weitermachen wie bisher? „Ja, du lässt nicht zu, dass es dein Denken bestimmt.“ Krebs, sagt Jessen dann leicht autosuggestiv, das sei auch nur eine „Phase, durch die man durchmuss“. Ob es denn ein Wort dafür gebe, für diesen „Zwischenzustand“, will Nora wissen. „Ja, gibt es. Man nennt es Leben.“ Im meist düster inszenierten Hamburg, wo diese Reihe sonst spielt, wäre dem gebrochenen Professor eine derart hoffnungsfrohe Moral kaum über die Lippen gekommen. Die Nordsee aber tut ihm sichtlich gut, hat mit ihrem Raunen etwas gelöst in der sonst so verlorenen Figur. Und dann ist da ja auch noch die gutgelaunte Tochter Charlotte (Lilly Liefers), die einen letzten Urlaub vor dem Abitur mit ihren Eltern an der See verbringt.

„Neben der Spur“ ist ein treffender Serientitel, weil er sich nicht nur auf die derangierte Hauptfigur bezieht, von einem bullig-sympathischen Kommissar (der stets formidable Juergen Maurer) und dessen unprätentiöser Kollegin (Marie Leuenberger) verstärkt wird, sondern auch auf die Stellung innerhalb der Krimisparte. Denn es sind in erster Linie die Atmosphäre und dramatisch-elegische Aufladung, die diese Reihe ausmachen, und das über verschiedene Regisseure und Autoren hinweg. In dieser siebten Episode ist Josef Rusnak für Skript und Inszenierung verantwortlich; zugrunde lag, wie immer, ein Roman von Michael Robotham. Diesmal sticht die philosophisch-tragische Grundierung besonders hervor, was nicht zuletzt an Rusnaks Händchen für Bilder von stiller Größe und wehmütiger Weite liegt. Aber natürlich ist da der Luxus, auf derart ausdrucksstarke, gelassen-selbstbewusste Schauspieler zugreifen zu können.

Nur bleibt die seit Beginn der Reihe problematische Diskrepanz zwischen einer anregend ausagierten Rahmung und den banalen Krimihandlungen bestehen. Der Binnenplot nimmt einige der Grundmotive auf – gescheiterte Beziehungen, neue Aufbrüche, Demütigungen –, aber es wirkt fast schon billig, wie er mit Genreelementen jongliert und auf Sensationen schielt. Im nahe bei Nordstrand gelegenen Husum, wo die erwähnte Kommissarin inzwischen ihren Dienst tut, wurden eine Mutter und ihre Tochter grausam getötet. An der Wand prangt ein mit Blut gemaltes Pentagramm, eine Bibel liegt bereit. Zum Kreis der Verdächtigen zählen die Üblichen: ein Nachbar, der gewalttätige Ex-Mann, ein beim Karaoke abgeschleppter Romeo (Stephan Grossmann), vielleicht sogar ein nerviger Crime-Youtuber (Rafael Gareisen), ein ehemaliger Schüler Jessens.

Zudem gibt es im Ort eine Serie von weiteren Angriffen auf Frauen, bei denen den Opfern rituelle Markierungen in die Stirn geritzt wurden. Viel zu beißen also für den traurigen Seher, der angesichts der Angst um seine Frau für diese Kombiniererei eigentlich gar keine Muße hat, wie er mehrfach kundtut, bevor er sie mit Bravour vollführt. Die Auflösung ist schließlich eine solche Enttäuschung, dass der Film sie gar nicht als Aha-Erlebnis inszeniert, sondern leicht verlegen am Rande einfließen lässt. Irgendwann wissen die Zuschauer einfach mehr als die Figuren, was der Spannung oder Glaubwürdigkeit aber nicht wirklich auf die Sprünge hilft.

Die Darsteller holen das Beste aus den matten Vorgaben nach Psychopathenthriller-Muster heraus, auch wenn der von Maurer gespielte Ruiz sich diesmal mit einer eher kleinen Nebenrolle begnügen muss. Zusammen mit der wieder eleganten, ins kühl Bläuliche spielenden Optik bietet das denn doch einigen Genuss. Noethens Figur beim Denken oder im Ringkampf mit der eigenen Panik zuzusehen, ist spannender als manche Lockvogelszene. Brenzlig wird es schließlich auch noch, aber die wahren Höhepunkte dieser inhaltsschwachen Episode haben mit den inneren Angelegenheiten der still leidenden, in der Weite aufblühenden Familie Jessen zu tun. Man nennt es Leben.

Neben der Spur – Schließe deine Augen, heute, um 20.15 Uhr, im ZDF.

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