#Geimpft, aber unfrei

In der Diskussion über die Pandemie-Politik wechseln Einschätzungen und Standpunkte stetig. Nun hat der Ethikrat über besondere Regeln für Geimpfte nachgedacht, ist aber in seiner Empfehlung so rigoros wie vage.

Ein Dilemma der gesundheitspolitischen Diskussionen über die Coronapandemie ist der ständige Wechsel der Argumente. Die Öffentlichkeit kann sich seit vergangenem Frühjahr nicht mehr auf stabile Mitteilungen verlassen. Erst war beispielsweise das Maskentragen für Leute außerhalb von Krankenhäusern gar nicht sinnvoll, dann war es ein halbnützliches Symbol, kurz darauf wirkte es hilfreich in alle Richtungen, zuletzt wurde es sogar zur Pflicht. Man wird das zurecht „Lernen“ nennen, aber die ersten Urteile auch mindestens „voreilig“ und im Ton zu selbstgewiss.

In das Ausmaß der Sicherheit, mit der solche Urteile abgegeben werden, geht zusätzlich politische Rhetorik ein. Wer alles hatte beispielsweise nicht vor Schulschließungen gewarnt, um sie wenig später als unumgänglich zu fordern oder mindestens zu akzeptieren? Oder nehmen wir die Wahl der Indikatoren. Im vergangenen Mai wurde eine Sieben-Tage-Inzidenz von 57 als kritisch bezeichnet, und der Odenwaldkreis bedauerte, so schlecht dazustehen. Zuletzt hingegen schien eine Inzidenz von 50 schon ein bald erreichbarer Durchbruch zur wiedererlangten Freiheit zu sein. Daraufhin meldeten sich aber sofort Stimmen, die das – es gibt Mutationen! – für eine trügerische Sicherheit halten und dem Publikum, mitteilten, der Weg sein noch lange nicht zu Ende. Wieder andere finden inzwischen die Inzidenz-Zahl überhaupt nicht hilfreich, obzwar sie monatelang dazu diente, den Grad des gesundheitspolitisch Erreichten zusammenzufassen.