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#Ruinen werfen ihre Schatten voraus

Ruinen werfen ihre Schatten voraus

Im letzten Kellergeschoss, drei Stockwerke unter der Erde, liegt das Tote Meer. In Larissa Sansours Film „Nation Estate“ reicht ein Lift, um von der Sehenswürdigkeit nach Ramallah oder Bethlehem zu kommen: Palästina ist hier ein steil in die Höhe ragendes Hochhaus mit Glasfassade und flughafenhafter Eingangshalle, das Ganze verpflanzt hinter einen Grenzzaun. Drinnen glänzen die Böden, Menschen spazieren durch animierte Renderings, und Werbetafeln blitzen mit der vermeintlichen Verlockung, hier lasse sich „the high life“ leben. „Der einzige Weg, wie Palästinenser an einem geographisch so begrenzten Ort ihr eigenes Land erhalten können, ist, sich den Platz in der Vertikale zu nehmen“, erzählt Sansour im Interview mit dieser Zeitung.

Larissa Sansour wurde 1973 in Ostjerusalem geboren. Mit 15 Jahren schickten ihre Eltern sie aufgrund der Aufstände nach London, um die Schule abzuschließen. Dort studierte sie im Anschluss bildende Kunst und bewegt sich seitdem zwischen Fotografie, Film, Skulptur und Installationen. Ihre Werke behandeln im Kern das palästinensische Weltproblem. Larissa Sansour arbeitet seit vielen Jahren mit dem Autor Søren Lind. Sie lässt die Bilder entstehen, er schreibt die Texte. Würden Sansour und Lind mit einem Werkzeugkasten arbeiten, dann fänden sich in dem Nostalgie, Erinnerung und Fiktion, eingeordnet neben Science-Fiction, Archäologie und Objektkunst. In ihrem Kurzfilm „In the Future They Ate from the Finest Porcelain“ (2015), dem zweiten Teil ihrer Science-Fiction-Trilogie, fallen Porzellanstücke als CGI-Elemente als „Keramikregen“ aus dem Himmel auf die Wüste. Sie sind Teil eines Traumes der Hauptfigur. Die Protagonistin, Kämpferin in einer Gruppe, deren politisches Werkzeug Narrative sind, wird von ihrer Psychotherapeutin befragt, was der Traum wohl zu bedeuten habe. Sie antwortet lakonisch: „I don’t think it means anything, it’s just an image.“

„Keramikregen“ aus dem Himmel auf die Wüste: Bild aus Sansours „In the Future They Ate From Finest Porcelain“


„Keramikregen“ aus dem Himmel auf die Wüste: Bild aus Sansours „In the Future They Ate From Finest Porcelain“
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Bild: Barbican/Katalog

Sansour macht in all ihren Filmen deutlich, dass sie nicht „nur Bilder“ herstellt, es sind vielschichtige, eigene Erzählungen mit klarer Agenda. An einem Ort, an welchem „die Realität so viel schräger als Fiktion“ sei, erzählt Sansour, habe sie bald aufgehört, dokumentarisches Material zu filmen oder zu sammeln, wie sie es anfangs tat. Sie spricht von einem „Wettbewerb der Narrative“: Egal welche Beweise es gäbe, am Ende werde der überzeugenderen Erzählung geglaubt. Pathos sei somit effektiver als Tatsachen, und Tatsachen schaffe sie selbst für ihre ausgedachte Geschichte. Sansour hat das Porzellan aus dem Film tatsächlich vor Ort vergraben. Die „narrative Terroristin“ des Films tut das, um vor zukünftigen Archäologen den Anspruch auf ihr Land geltend zu machen. Und Sansours Film fragt: Stützt sich die Erzählung eines Landes auf Wahrheiten ebenso wie auf Mythen? So ist auch „Space Exodus“, Teil eins der Trilogie, eine Gegenerzählung, angesiedelt zwischen Neil Armstrong und Stanley Kubrick: „Jerusalem, we have a problem“, erklingt eine Stimme im Cockpit des Raumschiffs, kurz darauf betritt eine Frau den Mond und pflanzt dort die palästinensische Flagge. Es sei vielleicht einfacher, auf dem Mond zu landen, als einen eigenen Staat zu gründen, erzählt Sansour. Mit Science-Fiction zu arbeiten habe ihr ermöglicht, ein Vokabular zu entwickeln, das nicht durch den „aktuellen politischen Jargon“ diktiert werde. Im Zukunftsrahmen lasse sich anders fragen, was Erinnerung bedeutet.

Im vergangenen Jahr wurde Sansour ausgewählt, den dänischen Pavillon der Biennale von Venedig zu gestalten. Mit dem Land verbinden sie ein Studium, eine Staatsbürgerschaft und einige Jahre Leben vor Ort. Den palästinensischen Pavillon zu gestalten wäre nicht möglich, denn den gibt es nicht. Für den dänischen realisierte sie „In Vitro“, eine Zweikanal-Videoinstallation, und verfrachtete ein digitales Objekt aus dem Film, eine schwarze runde Sphäre, in den Raum daneben.

In „In Vitro“ hat eine Naturkatastrophe die Stadt Bethlehem unbewohnbar gemacht, die Menschen haben sich in unterirdische Behausungen zurückgezogen. In einem leerstehenden Kernreaktor werden Pflanzen und Insekten aufbewahrt und gezüchtet, um die Kultivierung der Erde wieder möglich zu machen. Auf Split-Screens begegnen sich in einem Bunker zwei Generationen: Maisa Abd Elhadi spielt Alia, eine junge Frau, geklont „aus den Überresten derer, die wir zurückgelassen haben“. Dunia, von Hiam Abbass gespielt, liegt auf dem Sterbebett und steht für all jene, die der Jugend die eigenen Erinnerungen mitgeben wollen, damit ehemals begangene Fehler nicht wiederholt werden. Die eine will leben, die andere hat gelebt. Die eine hat noch nie einen Sonnenuntergang gesehen, die andere hat bald alle Tage und Nächte hinter sich. Sansours Bilder und Linds Text schaffen plastische Poesie: Die Fronten sind verhärtet, alles ist in schroffem Schwarzweiß gehalten. Dabei verhandeln die zwei Frauen so zart wie dezidiert vorweggenommene Erinnerungen, gestohlene Zukünfte und den zweifachen Kummer einer späteren Generation, der nicht einmal ihr Schmerz gehört. Alia ist unter der Erde aufgewachsen, „geprägt von Nostalgie und Erinnerungen anderer“. „Die Weitergabe von Trauma und Nostalgie über Generationen interessiert mich“, erzählt Sansour.

Wenn Symbole wie „leere Artefakte im Museum“ weitergereicht werden, müsse man sie zerlegen und ihnen eine neue Funktion zuweisen, Zukunft. Ikonoklastisch fängt der Film an: Eine schwarze Öllache überschwemmt Bethlehem und lässt die Geburtskirche in Flammen aufgehen. Wo keine Fakten geschaffen werden, schafft Sansour Fiktion. Und in irgendeiner Zukunft, wie weit immer entfernt, werden digitale Archäologinnen im Archiv auf ihre Bilder stoßen.

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