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#Schießstand auf dem Massengrab

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Schießstand auf dem Massengrab

Auch wenn Russlands staatliche Geschichtspolitik das stalinistische Gewaltregime schleichend rehabilitiert, wehrt sich die Zivilgesellschaft durch demonstratives Opfergedenken, und das immer wieder erfolgreich. So in Sankt Petersburg, wo im vergangenen Herbst von dem Wohnhaus an der Rubinsteinstraße 23 sechzehn Gedenkplaketten für ermordete Bewohner, die die Stiftung „Letzte Adresse“ (Posledni adres) erst 2016 dort angebracht hatte, demontiert wurden, auf Verlangen dreier Mitbewohner. Der Fall wurde zum Skandal, der Petersburger Historiker Lew Lurie und der liberale Abgeordnete Boris Wischnewski erregten sich über die „ethische Taubheit“ und die „pathologische Empathielosigkeit“ der drei Aktivisten und ihrer Gesinnungsgenossen, die in den sozialen Medien mäkeln, mit den vielen Plaketten erinnere das Haus an einen Friedhof, außerdem sei der Stalinopfer schon genug gedacht worden, und die Stadt habe dringendere Probleme. Die Wortführerin der Plakettengegner, eine Petersburgerin namens Dina, die zu einem Telefongespräch bereit ist, klagt, die Befestigung der Tafeln sei mit den Hausbewohnern nicht abgesprochen worden. Dina, anscheinend eine Stalinistin, sagt, auch in ihrer Familie habe es Terroropfer gegeben, die zuvor verleumdet worden seien. Doch sie verstehe die Auswahlkriterien der „Letzten Adresse“ nicht; ohne Grund, so Dina, sei damals niemand verhaftet worden.

Kerstin Holm

Doch die Stiftung, die nach dem Vorbild der deutschen Stolpersteine schon mehr als tausend Plaketten an Häusern in Russland, aber auch der Ukraine, Belarus, Georgien, Tschechien, sogar in Deutschland angebracht hat, legt Wert darauf, nur Personen zu würdigen, die förmlich rehabilitiert, also vom Staat als Unrechtsopfer anerkannt wurden. Die von Bürgern finanzierten Tafeln erinnern an gewöhnliche, nicht an prominente Leute. Am Haus an der Rubinsteinstraße wurde sechzehn Männern gedacht – Ingenieuren, Ökonomen, aber auch eines Musikers, eines Militärs und eines Geheimdienstlers – die Ende der dreißiger Jahre verhaftet und hingerichtet wurden. Aber eine Befragung und Abstimmung unter den Bewohnern, wie sie das Gesetz vorschreibt, wurde tatsächlich versäumt, darin habe Dina recht, erklärt der Stadtbezirksabgeordnete Vitali Bovar, den wir in seinem Büro erreichen. Das werde man in den kommenden Wochen nachholen, sagt Bovar. Die meisten Hausbewohner begrüßten die Gedenktafeln, die erforderliche Mehrheit von zwei Dritteln komme leicht zusammen, versichert er und prophezeit, schon bald kämen die Plaketten an die Fassade zurück.

Die Leninstraße ist abgeschafft

Eine salomonische Lösung zeichnet sich auch im moskaunahen Städtchen Tarussa ab, wo ebenfalls vorigen Herbst sechzehn Straßen im Zentrum ihre vorrevolutionären Namen zurückbekamen. Die Umbenennung wurde vom Stadtrat Ruslan Smolenski ohne öffentliche Diskussion beschlossen, nachdem der monarchistische Oligarch Konstantin Malofejew, der wegen seiner Unterstützung für die Separatisten in der Ostukraine auf westlichen Sanktionslisten steht, ihn dazu gedrängt und versprochen hatte, anfallende Kosten zu tragen. Im idyllischen Tarussa leben viele Moskauer Intellektuelle, die die Wiederherstellung der historischen Toponyme eigentlich begrüßen, beispielsweise der klassische Philologe Boris Nikolski und der Unternehmer Viktor Woitow, die aber zugleich beide die arrogant-antidemokratische Form kritisieren. Im Unterschied etwa zum Schriftsteller Maxim Ossipow, der, heilfroh, dass die zentrale Kalugaer Straße endlich nicht mehr nach dem Massenmörder Lenin heißt, angesichts dieses Ergebnisses die Stilfrage nebensächlich findet.

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