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#Seepferdchen im Haifischbecken

Seepferdchen im Haifischbecken

Nachfragen? Wie man einen Änderungsantrag schreibt? Undenkbar. Drei Jahre sitze er sich schließlich schon den Hintern in Brüssel platt, gesteht der so faule wie sympathische französische Europaparlamentsabgeordnete Michel Specklin (Philippe Duquesne) seinem Assistenten-Frischling Samy (Xavier Lacaille). Da könne er jetzt nicht mehr nach Grundlagen fragen. „Das ist wie bei diesen Schülern, die in der sechsten Klasse ankommen, ohne lesen und schreiben zu können: Für die ist es zu spät. Die verkaufen dann Drogen.“ Damit schnappt er sich den Wassertank des Kaffeeautomaten und verschwindet in den Tiefen des minotaurischen Flurlabyrinths des EU-Parlaments; die Aufgabe bleibt an dem Neuen hängen, der sich prompt von einem Lobbyisten über den Tisch ziehen lässt.

Was Sechstklässlern, die bei einfachsten Aufgaben versagen, von Pädagogen mit gespieltem Ernst erklärt wird – Wir lachen nicht über dich, wir lachen mit dir –, das muss eine der zentralen Maximen des Franzosen Noé Debré gewesen sein, als er die von Frankreich, Belgien und Deutschland koproduzierte Serie „Parlament“ (hierzulande sind die Sender ARD One und WDR im Boot) erdacht und dann gemeinsam mit dem englischen Comedian Daran Johnson ausformuliert hat. Beschimpfungen der europäischen Institutionen als undurchschaubar, sinnlos, machthungrig und parteiisch gibt es unter rechten wie linken Europaskeptikern schließlich mehr als genug. Es ging ganz offenbar darum, einen humorvoll zugewandten Ton zu treffen, der zwar Klischees wild übersteigert – Europapolitiker sind träge, verfressen, dumm, hinterhältig oder einfach bösartig; die Briten alles zugleich – und der trotzdem durch die Blume ein Lob auf die Brüsseler und Straßburger Institutionen und Beamten singt. Man ahnt ganz richtig, dass das zu einem einigermaßen verkniffenen Ergebnis führen musste.

Slapstick und Stammtischargumente

Dabei macht „Parlament“ manches richtig, etwa die untertitelte Vielsprachigkeit. Die Bildsprache von Émilie Noblet und Jérémie Sein überzeugt, auch weil an Originalschauplätzen gedreht wurde. Die Doppelperspektive auf Abgeordnete und ihre Assistenten erlaubt, auf zwei einander kommentierenden Ebenen zu erzählen. Und als sich Samy über Parteigrenzen hinweg mit anderen Assistenten anfreundet, der Britin Rose (Liz Kingsman) und dem Wurst-Deutschen Torsten (Lucas Englander), gelingt es den Darstellern, die ziemlich müden Gags über nationale Stereotype niedlich zu überspielen. Zwischen Rose und Samy knistert es prächtig, auch wenn der Franzose zunächst einer sexhungrigen Schwedendemokratin verfällt, ohne zu wissen, dass es sich um eine Rechtsextremistin handelt. Weil sie sich ja „Demokraten“ nennen, das ist hier tatsächlich der ganze Witz.

Eine Weile lang recht lustig – bis es in seiner Monotonie nervt – ist das Porträt von Roses Chefin (Jane Turner), einer armseligen, selbstgefälligen und ahnungslosen Vertreterin der Brexit-Partei, die in Katzenjammer ertrinkt, weil ihre Dolce-far-niente-Tage gezählt sind. Gänzlich misslungen hingegen wirkt die Figur der furchteinflößenden, opak bleibenden Deutschen Ingeborg, Torstens Chefin, so viel Mühe sich Christiane Paul auch geben mag, dieser albernen Rolle Größe zu verleihen. Sie wird zur Gegenspielerin Samys, der sich auf das Durchkämpfen eines Verbots des „Finnings“ – des Abschneidens von Haifischflossen – versteift und uns so mit viel Slapstick die Abläufe im Parlament nahebringt.

 Louis-de-Funès-Mimik

Kurz vor dem Finale muss die irgendwie Populisten bekämpfende Hexe Ingeborg einen peinlich pathetischen Aufsage-Monolog absolvieren, in dem sie alle EU-Mitglieder mit Stammtischargumenten verflucht, auch das eigene Land („Fuck uns Deutsche. Mit Eurem Predigerton habt Ihr mal wieder die Macht an Euch gerissen“), bevor sich die Rede dann doch zu einer verkappten Demokratiehymne wandelt: „750 Volksvertreter für 750 Versionen, was die Menschen eigentlich wollen.“ Das zitiert in der Form direkt Spike Lees Film „25 Stunden“, nur dass die Hassrede dort exakt zum Inhalt passt, hier aber aufgenötigt wirkt.

Derart bemüht geht es freilich nicht immer zu. Lacaille und Kingsman retten so manche Szene mit schlagfertiger Situationskomik, Duquesne mit seiner Louis-de-Funès-Mimik. Und einige schön schräge Einfälle gibt es durchaus. So tauchen bei Samys „Safe the Fins“-Empfang als Erstes die trinkfesten „Wahren Finnen“ auf, die sich nicht einmal wundern, dass es dann dauernd um Haie geht.

Dass eine charmante, aber harmlose und oft flapsige Parlamentssatire wirkt, als komme sie Jahre zu spät, liegt daran, dass dem so ist. Schon die britische Achtzigerjahre-Serie „Yes Minister“ hatte deutlich mehr Zunder, weil sie tief ins düstere Unterbewusstsein der Politik vorstieß. Vor allem aber Armando Iannuccis böse und doch eigentümlich authentisch wirkende Satire „The Thick of It“ zeigte, wie viel Zynismus und Realismus ein solches Format verträgt. Noch das leicht überdrehte deutsche Remake „Eichwald, MdB“ lebte davon, dass ein Amoralist im Zentrum stand. Hier dagegen folgt auf jede kleine Überschreitung der Auftritt des fleischgewordenen guten Geists von Brüssel. Der universal gebildete Beamte Eamon (William Nadylam), bekennender Stoiker (und mimischer Roboter), hält mit aufdringlicher Symbolik die Maschine am Laufen. Er wird zu Samys Mentor. Seine drögen Erklärungen bremsen jedoch das Tempo der Serie immer wieder auf null herunter. Wer Zuschauern nicht einmal zutraut, sich gefahrlos über die Demokratie und ihre Verrenkungen zu amüsieren, hält sie wohl für Sechstklässler am Drogenabgrund.

„Parlament“ läuft von heute an dienstags um 20.15 Uhr in Doppelfolgen auf ONE. Alle zehn Episoden sind in der ARD-Mediathek abrufbar.

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