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#Sen, der Weltbürger

Sen, der Weltbürger

Da sitzt er, dieser 86 Jahre alte Gelehrte, grauer Anzug, rote Krawatte, dunkle Hornbrille vor einem weißen Kamin und strahlt wie ein Kind. Wenn einer der honorigen Redner gesprochen hat, faltet Amartya Sen seine Hände zum Dank. Zwar trägt der indische Ökonom und Staatsphilosoph mehr als hundert Ehrendoktortitel und hat unzählige Preise eingeheimst, doch dieser sei die „Bürgerkrone der Menschlichkeit“, formuliert Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Laudatio. Seit der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels vergeben wird, waren wegen der Pandemie erstmals weder Preisträger noch Laudator und weniger als siebzig Gäste in der Frankfurter Paulskirche. Doch die Würde der „Bürgerkrone“ strahlt bis in ein Wohnzimmer in Boston.

Philipp Krohn

Philipp Krohn

Redakteur in der Wirtschaft, zuständig für „Menschen und Wirtschaft“.

Schon als junger Volkswirtschaftsstudent in Kalkutta hat ihn der Ehrgeiz gepackt, das scheinbar unlösbare Unmöglichkeitstheorem zu knacken. Es besagt, dass man nicht widerspruchsfrei von individuellen Präferenzen auf kollektive Entscheidungen schließen kann. Zudem prägte ihn der hautnah miterlebte Tod eines Muslims, der dem Religionskrieg im postkolonialen Indien zum Opfer fiel, und die Hungersnot in Westbengalen. Sen ist ein Weltökonom, der fest auf dem Fundament von Adam Smith, Antoine de Condorcet und Kenneth Arrow steht, den Markt schätzt, Wachstum für wünschenswert hält, aber die Freiheit über alles stellt. „Die positive Auswirkung des Marktmechanismus auf das Wirtschaftswachstum ist ohne Frage wichtig“, schreibt er 1999 in „Development as Freedom“. „Doch diese Erwägung ist zweitrangig und greift erst, nachdem die unmittelbare Bedeutung der Freiheit – nämlich Worte, Güter, Geschenke auszutauschen – anerkannt worden ist.“

So fest Amartya Sen auf dem Boden der Wirtschaftstheorie steht, so klar hat er Kritik an ihr formuliert. Das Bruttoinlandsprodukt sei ein ungenügendes Maß für Entwicklung. Aus diesem Gedanken leitete er einen Indikator ab, der Gesundheit und Bildung einbezieht und Grundlage des Human Development Index der Vereinten Nationen ist. Das Problem individueller Präferenzen in der Sozialwahl löste er und half, Wohlfahrt messbar zu machen. Mit dem Fähigkeiten-Ansatz lieferte er ein multidimensionales Modell, um Entwicklung zu operationalisieren. Für all das erhielt er 1998 den Nobel-Gedächtnispreis für Ökonomie.

Wider die „Pandemie des Autoritarismus“

„Wir ehren heute einen Menschen, der wie kein anderer verbunden ist mit der Idee der globalen Gerechtigkeit“, trug der Schauspieler Burghart Klaußner aus Steinmeiers Laudatio vor, dessen Personenschützer positiv auf das Virus getestet worden war. Sen sei Weltbürger, „public intellectual“ und eine moralische Instanz. Globale Gerechtigkeit gelinge nur, wenn die Welt geteilt werde. Sen hat klargemacht, dass autokratische Regime reich sein können, sie seien aber freiheitlichen Staaten unterlegen. Demokratie sei für Sen kein Luxusartikel, formulierte Steinmeier. „Sie ist weltweite Sehnsucht und ein universelles Versprechen. Auch daran erinnern uns die Demonstrantinnen und Demonstranten auf den Straßen von Caracas, Minsk und Hongkong.“

Vor allem auf Sens Ausführungen zur religiösen und politischen Identität ging Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, ein. Würden Menschen wie Kader Mia, das muslimische Opfer aus Sens Kindheit, auf die Zugehörigkeit zu einer Religion reduziert, würden Glaubenssätze über Menschenrechte gestellt. Mit der vertieften Lektüre von Sens Büchern habe sich bestätigt, dass er der würdige Preisträger für das Corona-Jahr sei. Er habe der Verteilungsgerechtigkeit und dem Feminismus eine Stimme gegeben und sich gegen einen „Krieg der Kulturen“ gestellt.

Sen selbst hatte sich in einem Pressegespräch am Donnerstag zu ökonomischen Fragen geäußert. Die Pandemie könne Solidarität fördern und sogar positiv auf die Lebenserwartung wirken. Das Nachdenken über den Klimawandel könne für das Überleben der Menschheit nützlich sein, weil sie erstmals nicht nur an sich selbst denken müsse. In seiner Preisrede dagegen schien er jeden Restzweifel auslöschen zu wollen, dass im Jahr von Corona und „Black Lives Matter“ der Richtige ausgezeichnet wurde. Von den indischen Hindu-Nationalisten über das Ungarn Viktor Orbáns bis zu den Regierungen Brasiliens und der Philippinen zeichnete er das Bild einer „Pandemie des Autoritarismus“: „Heute ist gesellschaftlich kaum etwas dringlicher geboten als globaler Widerstand gegen den zunehmenden Autoritarismus überall auf der Welt“, sagte Sen.

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