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#Sie ließ sich nicht reinreden

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Sie ließ sich nicht reinreden

Irgendwann Mitte der Sechziger verwandelte sich Roberta Joan Anderson, die aus der kanadischen Provinz stammte, Woody-Guthrie-Songs zur Ukulele und Volksweisen mit lustigem irischem Akzent sang, in Joni Mitchell. Wie es in kürzester Zeit zu dieser Metamorphose kam und aus einer Folksängerin von der Stange die selbstsichere Interpretin eigener Songs wurde, ist eine jener unglaublichen Geschichten aus dem Popsagenbuch. Denn gewartet hatte niemand auf das Mädchen aus Saskatoon, Saskatchewan. Schon allein der Name ihrer Heimatstadt klang nicht recht nach Showbiz, eher „wie eine Krankheit“ – eine scherzhafte Bemerkung, die ihr bei frühen Konzerten ein paar Lacher einbrachte.

Es war die berüchtigte Ochsentour, wie sie die Coen-Brüder in ihrem Film „Inside Llewyn Davis“ nostalgisch und stilecht nachgezeichnet haben: Anderson tingelte wie viele ihrer Kolleginnen und Kollegen durch die einschlägigen Clubs und Cafés, trat für ein paar Dollar auf, schien aber von diesem holprigen Weg nicht abbiegen zu wollen. Sie ließ sich nicht reinreden. Das hatte sie von klein auf gelernt, obwohl ihr der liebe Gott zwischendurch immer mal wieder ein paar Knüppel zwischen die Beine warf – sie hatte eine Polioerkrankung überlebt, mit einundzwanzig ein Kind bekommen und zur Adoption freigegeben und eine kurze Ehe mit einem Musiker hinter sich gebracht, aus der ihr kaum mehr als der Name Mitchell geblieben war. In Malka Maroms kürzlich bei Kampa erschienenem Gesprächsband sagt Mitchell auf die Frage, warum sie trotz allem weitergemacht habe, darüber habe sie nie nachgedacht: „Vermutlich, weil ich gemerkt habe, wie ich mich entwickle: Ich sah, dass die Musik besser wurde, die Texte besser wurden.“

Eigensinnig und faszinierend

Eine bescheidene Untertreibung: Innerhalb von gerade einmal zwei, drei Jahren war aus der Epigonin die faszinierendste und eigensinnigste Songschreiberin der Sechziger geworden. Von dieser Entwicklung handelt „Archives Vol. 1: The Early Years“, eine Fünf-CD-Box (Rhino/Warner), die zurückreicht zur Geburtsstunde der Musikerin. Also bis ins Jahr 1963, da war sie gerade zwanzig – wir hören ihre allererste Einspielung, eine verrauschte Aufnahme von „The House of the Rising Sun“. Im Jahr 1967, noch vor Erscheinen ihres ersten Albums, endet diese archäologische Spurensuche – mit einer Live-Version von Mitchells wunderbar elegischem „Urge for Going“, einem Song, der ihren Durchbruch als Autorin markiert.

„Archives Vol. 1“ dokumentiert also entscheidende, prägende Jahre Joni Mitchells, versammelt Aufnahmen, die bei einem Radiosender in Saskatoon entstanden sind, ein Geburtstagstape für die Mutter, Mitschnitte von Auftritten in Philadelphia, Toronto und New York. Songs aus dem Repertoire der Folkies und die ersten selbst komponierten Stücke, einige davon ungehört, zumindest noch nie offiziell auf Tonträgern erschienen. Und viele kleine Intros: Da Mitchell früh beginnt, offene Gitarrenstimmungen zu verwenden, und das Tuning Zeit in Anspruch nimmt, gibt es reichlich Gelegenheit, kleine Schnurren in den Pausen zwischen den Songs zu erzählen. „Both Sides Now“, erfahren wir, ist der Lektüre von Saul Bellows „Der Regenkönig“ zu verdanken. Der Held des Romans, per Flugzeug unterwegs, sinniert über das merkwürdige Zeitalter, in dem er lebt: Einen Menschen, der nach oben und nach unten blicken könne und dort jeweils Wolken sehe, sollte eigentlich nichts mehr ängstigen und wundern. So ungefähr steht es bei Bellow. Und bei Mitchell: „I’ve looked at clouds from both sides now / From up and down and still somehow / It’s cloud’s illusions I recall / I really don’t know clouds at all.“

Die Unmittelbarkeit der 55 Jahre alten Aufnahmen ist hinreißend: Man meint, jemanden im Zauberrausch des Anfangs zu erleben, mit Mitchell am Ausgangspunkt eines Pfads zu stehen, an dem sich, unabsehbar noch, grandiose Wegmarken wie „Blue“ oder „Hejira“ finden werden. Spannend ist auch zu hören, wie rasch sich Mitchell von ihren Ursprüngen entfernt, das Folk-Idiom zwar nicht ganz verleugnet, aber musikalisch in etwas viel Komplexeres überführt; plötzlich taucht ein Bo-Diddley-Riff auf, Akkordfolgen werden seltsamer, speisen sich aus anderen Quellen als aus jenen der ersten Vorbilder Dave van Ronk oder Buffy Sainte-Marie. Es gibt eine Blackness in ihren Stücken, die Musiker wie Charles Mingus, Wayne Shorter oder Prince zu ihr hingezogen hat.

Mitchell lebte Mitte der Sechziger in Detroit in einer schwarzen Nachbarschaft, spielte in einem Club, der sich nachts in einen Jazzschuppen verwandelte, und sie beschreibt im Booklet im Gespräch mit Cameron Crowe, wie sich dort die auf den ersten Blick sehr verschiedenen Welten vermischten, schwarze Instrumentalisten auf sie aufmerksam wurden: „Kürzlich rief mich jemand an und sagte: ,Wusstest du, dass du in den Motown-Archiven erwähnt wirst?‘ Da stand: ‚Auf der anderen Seite der Stadt machte Joni Mitchell unterdessen eine neue Art von Folkmusic.‘ Aber ich machte gar keine Folkmusic. In meiner Musik schwang viel Jazz mit. Wegen dieser Verbindung zum Jazz spielten sie meine Lieder in ihren Sets. Das Jazzpublikum kam früher, um auch mich zu sehen.“ Young Joni hat von ihren ersten Auftritten an das, was die Jazzer Swing nennen – ein Gespür für Rhythmen, außergewöhnliche Harmonien und einen Sinn für das coole, synkopische Spiel mit Wörtern, den sie im Lauf der Zeit immer weiter schärfen wird.

In den letzten Jahren ließ sich mit Erstaunen beobachten, welche Dimensionen der dylanologische Forschungseifer angenommen hat: Noch die verstaubtesten Studioaufnahmen vergangener Schaffensphasen Dylans finden ihren Weg auf eines der Bootleg-Series-Alben. Nichts gegen den Heiligen Bob, im Gegenteil. Aber es gibt da eben auch die große Joni Mitchell, die zu Unrecht immer ein wenig im Schatten der Herren Dylan, Cohen & Co. stand. Mit den „Archives Vol. 1“ kann man sich ihr Werk nun von seinen Anfängen her noch einmal ganz frisch erschließen.

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