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#Sie verkörperte etwas Uramerikanisches

Sie verkörperte etwas Uramerikanisches

Joan Didion begann ihre Karriere als Autorin 1956 im New Yorker Büro der Modezeitschrift Vogue. Sie war 22 Jahre alt und hatte im letzten Jahr ihres Studiums an der Berkeley-Universität in Kalifornien einen Wettbewerb der Zeitschrift gewonnen. Später erzählte sie, der erste Preis sei eine Reise nach Paris gewesen, aber sie habe lieber den zweiten gewählt, ein Praktikum in der Redaktion. Paris war für amerikanische Schriftsteller in den fünfziger Jahren immer noch das Mekka der ästhetischen Avantgarde, der bevorzugte Ort des Exils für Intellektuelle, die glaubten, dass sie die Vulgarität und das Banausentum der amerikanischen Gesellschaft nicht ertragen konnten.

Patrick Bahners

Feuilletonkorrespondent in Köln und zuständig für „Geisteswissenschaften“.

Didion, so nimmt es sich im Rückblick aus, scheint von Anfang an gewusst zu haben, dass Amerika ihr Thema war. Henry James war eines ihrer großen Vorbilder, aber sie hielt es nicht mehr für nötig, um der Bildung willen so viel Zeit wie möglich in der Alten Welt zu verbringen. Der Vulgarität und Banausentum als der Endgestalt der enttäuschten Hoffnungen der Neuen Welt wich sie nicht aus; viele der Essays, mit denen sie berühmt wurde, sind Puzzlestücke einer Pathologie des schlechten Geschmacks, die sie im Interesse der Erforschung der amerikanischen Demokratie zusammentrug.

Bei der Vogue – dem französischen Namen und der französischen Dominanz in der Modewelt zum Trotz ist die Zeitschrift eine amerikanische Gründung – wurde die junge Mitarbeiterin aus Kalifornien zunächst mit der Produktion von Bildunterschriften und Werbetexten beschäftigt. Sie blieb auch als freischaffende Schriftstellerin auf Kürze spezialisiert, kurze Texte und kurze Sätze. Ihre Neigung, in Reportagen auch aus durchaus redseligen Milieus ganze Absätze mit halben Sätzen zu füllen, rief Parodisten auf den Plan. 2006 erschien in der Everyman’s Library ein Band, der den Inhalt ihrer ersten sieben Bücher im nicht-fiktionalen Genre nachdruckte. Alle Texte waren ursprünglich in Zeitschriften und Zeitungen erschienen, also von Redaktionen angeregt worden.

Zwei Welten, in denen sie sich bewegte

Das erste Sachbuch, das sie ohne einen solchen Auftrag schrieb, wurde ihr größter Erfolg und machte sie zu einer berühmten Autorin auch jenseits der Grenzen Amerikas. „The Year of Magical Thinking“ aus dem Jahr 2005 enthält ihre Reflexionen über ihre Trauer um ihren Ehemann John Gregory Dunne, der nach vier Jahrzehnten auch professioneller Partnerschaft an einem Herzschlag gestorben war, während die gemeinsame Tochter im Krankenhaus im Koma lag. Unzählige Leser rührte, was Didion über Rituale einer absurden abergläubischen Hoffnung verriet, mit denen sie den Tod vergeblich ungeschehen zu machen versuchte: Bewahrte sie nur die Schuhe ihres Mannes auf, würde er schon wiederkommen. Aber schon im Entschluss, auf die Erschütterung durch den unvorbereiteten Verlust mit Ritualen, also wiederkehrenden Übungen, zu reagieren, kam die professionelle Routine der Autorin durch. Sie hatte gelernt, mit Abgabefristen zu leben, die im englischsprachigen Publikationswesen „deadlines“ heißen.

Die Eheleute hatten sich in New York kennengelernt und zogen 1964 gemeinsam nach Kalifornien, in Didions Heimatstaat. Sacramento, die Hauptstadt des Bundesstaats, war ihre Geburtsstadt; ihr Vater war Offizier. Schon der Aufsatz, mit dem sie ihre Chance bei der Vogue gewann, hatte ein lokales Sujet: Der Architekt William Wilson Wurster hatte mehrere Gebäude für ihre Alma Mater Berkeley gebaut und prägte als Schüler des deutschen Stadtplaner Martin Wagner den kalifornischen Wohnungsbau der Nachkriegszeit. Die Höllenkreise der Suburbs und die künstlichen Paradiese von Hollywood waren zwei Welten, in denen sich die Essayistin und Reporterin Didion bewegte. Gemeinsam mit ihrem Mann schrieb sie mehrere Drehbücher für Kinofilme, darunter „A Star Is Born“ von 1976 mit Barbra Streisand und Kris Kristofferson.

Etwas Uramerikanisches

Die Romanschriftstellerin Didion, die in dieser vermeintlichen Königsdisziplin des Buchmarkts fünf Versuche vorlegte, begann mit autobiographischen Psychothrillern und entwickelte sich sozusagen in der Gegenrichtung zur amerikanischen Literaturgeschichte: Die späteren Romane sind Seitenstücke ihrer politischen Essayistik, Gelegenheitsarbeiten eines detektivischen Realismus. In Deutschland wurde die Aufnahme von Didions Büchern zunächst durch unbeholfene Übersetzungen erschwert. Das änderte sich, als die spätere Buchpreisträgerin Antje Ravik Strubel 2006 „Das Jahr magischen Denkens“ übersetzte. Man darf hoffen, dass sie sich auch des letzten zu Lebzeiten der Autorin publizierten Buches annehmen wird, „Let Me Tell You What I Mean“, einer Sammlung früher Artikel, die in diesem Jahr erschienen ist.

Der Stil der Essayistin wurde seit jeher als unverwechselbar empfunden, aber er hat eine radikale Wandlung durchgemacht. Didions erste Essaysammlung, „Slouching Towards Bethlehem“ von 1968, ist ein Klassiker des „New Journalism“, der Schule der Reportage, in der der Verfasser sich ins berichtete Geschehen hineindrängt. Diese Manier Didions wurde von skeptischen Kritikern als Symptom des amerikanischen Narzissmus bewertet, der ein Hauptthema ihrer Sozialstudien war. An ihren späteren Arbeiten, die vor allem in der New York Review of Books erschienen, vermissten andere Kritiker (und vielleicht auch einzelne derselben) die persönliche Stellungnahme, weil Didion sich die Welt der amerikanischen Politik konsequent über die Medien erschloss, also als selbstbezügliches System der Art, für die es inzwischen den Begriff der Echokammer gibt.

Auch die Schärfe der Kritik an dieser nie um Schärfe verlegenen Autoren zeigte an, dass sie etwas Uramerikanisches verkörperte. Die Verleihung der National Humanities Medal durch Präsident Obama und ein Netflix-Dokumentarfilm, gedreht von ihrem Neffen Griffin Dunne, bestätigten ihren Status als Nationalschriftstellerin. Am 23. Dezember ist Joan Didion im Alter von 87 Jahren in New York gestorben.

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