#Sie wandeln unter Lichtfontänen
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Inhaltsverzeichnis
„Sie wandeln unter Lichtfontänen“
Die Illustrationen zu Dantes „Göttlicher Komödie“ bilden einen eigenen Strang der Kunstgeschichte. Schon wenige Jahre nach dem Tod des Dichters entstehen die ersten Bebilderungen seines Werks, und seitdem reißt die Reihe der Künstler, die sich an ihm messen wollen, nicht mehr ab. William Blake, John Flaxman, Delacroix, Rodin und Robert Rauschenberg ragen aus Menge der Dante-Illustratoren hervor, und vor kurzem ist der italienische Manierist Federico Zuccari hinzugekommen, dessen Commedia-Zyklen die Uffizien in einer Ausstellung zum siebenhundertsten Todestag des Dichters präsentiert haben.
Dennoch sieht man, wenn man an Szenen aus dem „Inferno“, „Purgatorio“ oder „Paradiso“ denkt, vor allem die kolorierten Zeichnungen Botticellis und die Stiche von Gustave Doré vor sich. Der eine hat die dramaturgische Einheit von Dantes Reise durch Hölle, Fegefeuer und Paradies unübertrefflich eingefangen, der andere ihre episodische Zerrissenheit. Denn die „Göttliche Komödie“ ist beides, christlich-lehrhafte Phantasmagorie und irdisch-überirdisches Panoptikum; das eine sieht man bei Botticelli, das andere bei Doré. Seine Dante-Visionen sind ein Film, die von Botticelli ein christliches Mysterienspiel.
Eine Verwundung als Erweckungserlebnis
Das Berliner Kupferstichkabinett hat die 84 Botticelli-Blätter, die es 1882 mit der Sammlung des schottischen Herzogs von Hamilton erwerben konnte, vor zweiundzwanzig Jahren zum Thema einer denkwürdigen Ausstellung gemacht. Was damals nicht zu sehen war, eben die moderne Sicht auf Dante, stellt jetzt eine bescheidener dimensionierte und wegen der CoronaPandemie verspätete Schau am Kulturforum vor. Dabei wird von Botticelli wie von Flaxman, Delacroix, Böcklin, Lehmbruck und anderen jeweils nur ein einziges Blatt gezeigt, Doré ist mit zwei Stichen vertreten.
Im Mittelpunkt stehen stattdessen zwei Künstler des zwanzigsten Jahrhunderts, die heute nur noch Experten bekannt sind, die Dänin Ebba Holm (1889 bis 1967) und der deutsche Maler und Grafiker Klaus Wrage (1891 bis 1984). Für Wrage, der sich wie viele Angehörige seiner Generation freiwillig als Soldat im Ersten Weltkrieg gemeldet hatte, wurden die Schützengräben und eine Verwundung vor Verdun zum Erweckungserlebnis. Im Gefangenenlager las er Dante, den er nach seiner Rückkehr aus Frankreich zu illustrieren begann.
Von der Hölle ins Paradies
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Bilder zu Dantes „Göttlicher Komödie“
1921 stellt Wrage auf Anregung seines Förderers Max Liebermann seine Zeichnungen zur „Göttlichen Komödie“ in der Akademie der Künste am Pariser Platz aus. Bis 1925 entstehen gut hundertzwanzig Holzschnitte, die er mit den Textseiten zu einem selbst verlegten Blockbuch zusammenfasst. Im Zweiten Weltkrieg gehen die Illustrationen, die Wrage dem Kupferstichkabinett geschenkt hat, verloren, doch das Museum erfährt davon erst 2020, als ein in Spanien tätiger Kunsthändler die Blätter telefonisch anbietet. Zeitgleich mit der Rückholung des Wrage-Konvoluts erwirbt das Kabinett mehr als hundert Linolschnitte, die Ebba Holm in den späten Zwanzigerjahren nach den Versgesängen des Dichters angefertigt hat.
Die beiden Bilderserien könnten, bei allen Ähnlichkeiten im Detail, nicht unterschiedlicher sein. Während Ebba Holm noch der Formensprache von Symbolismus und Jugendstil verpflichtet ist – die sie in Blättern wie dem „Wald der Selbstmörder“ zu großartigen Bildfindungen treibt –, geht bei Wrage die Saat des Expressionismus auf. Sein Dante ist ein Bruder der Schmerzensmänner, die Barlach, Nolde und Heckel in Holz geschnitten haben. Das Liebespaar Paolo und Francesca, das bei Lehmbruck noch als Verkörperung antikischer Schönheit erscheint, übersetzt Wrage in eine Doppelskulptur der umschlingenden Entsagung. Die Köpfe der Verdammten im ewigen Eis des Höllenflusses stapelt er zum Totenberg, über den die Jenseitswanderer wie Schlafwandler irren.
Das moderne Inferno der Globalisierung
Mit dem Aufstieg ins Paradies, das bei Ebba Holm zu konventionell anmutenden Bühnenbildern erstarrt, steigert sich Wrages Darstellung ins Psychedelische. Mit Lichtfontänen, tanzenden Sternen und Strahlenspiralen klingt das expressionistische Pandämonium aus. In der Nachkriegszeit stellte Wrage die Figur der Beatrice, die Dante durch die Himmelssphären geleitet, ins Zentrum einer privaten Erlösungsmystik, die er in Diavorträgen verkündete. Zuvor hatte er sich mit Illustrationen zur „Edda“ um die Gunst der Nazis bemüht, die ihn aber nur als Zeichner für Militärzeitschriften beschäftigten. Fast möchte man seine späte Vortragstätigkeit für eine Form der Buße halten.
Den beiden klassisch-modernen Dante-Verehrern stellt der Kurator Andreas Schalhorn einen Vertreter der Gegenwartskunst gegenüber. Von Höllenglanz und Sternenlicht, wie der Ausstellungstitel verspricht, ist auf Andreas Siekmanns fotorealistischen Computerbildern nichts mehr zu sehen. Stattdessen taucht man bei ins Inferno der Globalisierung: Container- und Kreuzfahrtschiffe, Migranten in Schlauchbooten, die vom Küstengrenzschutz der EU-Agentur Frontex gestoppt werden, Polizisten, Krankenwagen, Monitore, Stacheldraht, die ganze Misere in sechseckigen Bildwaben, die sich zu einem Puzzle des hochzivilisierten Grauens ergänzen.
Durch diese Endzeitlandschaft schweben Dante und Vergil in den Umrissen, die ihnen Botticelli gegeben hat, der Dichter mit phrygischer Mütze, sein Führer mit langem Bart und Königshut. „Die Exklusive“ hat Siekmann seinen von der Berliner Ausstellung des Jahres 2000 inspirierten Zyklus genannt. Für Dante-Illustratoren alter Schule ist er eine Provokation. Allen anderen beweist er, dass die „Göttliche Komödie“ auch nach siebenhundert Jahren noch den Stoff liefert, aus dem unsere Albträume sind.
Höllenglanz und Sternenlicht. Dantes Göttliche Komödie in Moderne und Gegenwart. Im Kupferstichkabinett Berlin, bis zum 8. Mai. Das Begleitheft kostet 10 Euro.
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