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#Spiegelbilder vom Fallen und Auferstehen

Spiegelbilder vom Fallen und Auferstehen

Lebensgroß, groß im Tod, so drängt sich dieser grünlich fahle Gemarterte dem Betrachter auf. Tot ist er, das Haupt voll Blut und Wunden leblos zur Seite gefallen, und auf den leprös baumstumpfhaften Füßen zu stehen vermag er nur noch, weil ihn Stricke von allen Seiten aufspannen, die in den Körper einschneiden und sich zugleich wie spitze Pfeile in einen heiligen Sebastian in seinen Leib zu bohren scheinen. Schwärende Wunden überziehen den gesamten Körper. In einer besonders weit klaffenden mit weißem Eiterrand am rechten Brustkorb zurrt sich makabarerweise einer der Stricke wie in einer Führungsrille besonders gut fest. Würgereiz und Mitleid mit dem Geschundenen zugleich kann das auslösen. Obwohl aber die Seile die Arme des Mannes mit Dornenkrone in die Haltung eines gekreuzigten Christus bringen, sprechen die seltsam mikadohaft nach den Seiten abstehenden Stricke und die trotz der Vielzahl an Verletzungen fehlende Seitenwunde gegen eine vorschnelle Identifizierung mit Jesus am Kreuz, welches ja ebenfalls fehlt.

Auch die Malerei selbst ist heutzutage für Horst Sakulowski oft in Banden gelegt: „Kranke Muse“ von 2017/18, Öl auf Holz mit den Maßen 66,7 mal 93 Zentimeter.


Auch die Malerei selbst ist heutzutage für Horst Sakulowski oft in Banden gelegt: „Kranke Muse“ von 2017/18, Öl auf Holz mit den Maßen 66,7 mal 93 Zentimeter.
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Bild: Privatsammlung

Stefan Trinks

Klar ist durch den nachtschwarzen Hintergrund, den kieselbestreuten Untergrund und vor allem das Fahlgelb der Haut mit den vielen Wundkratern die vom Maler gesuchte Nähe zu Matthias Grünewalds Gekreuzigtem des Isenheimer Altars. Jedoch hatte schon Grünewald selbst „nur“ in seiner schmerzhaften Lebens- und Todesnähe vorhandene gotische Pestkreuze von Mitte des vierzehnten Jahrhunderts ins Extrem getrieben, um das reale Leiden der vom Antoniusfieber innerlich wie verbrannten und zerfetzten Patienten in Isenheim zu veranschaulichen. Und wie Grünewalds exemplarisch vorleidender Christus paradoxerweise den vielen Halb- und Bald-Toten im dortigen Sterbehospiz Trost durch den erbärmlichen Anblick spendete, kann das Bild dieses modernen Leidenden nicht nur wie im Mittelalter Com-Passio hervorrufen, sondern auch eine der ältesten Reaktionen der Bildgeschichte: Selbstspiegelung und -befragung, damit Erleichterung, das eigene Leid sei geringer und gerade noch zu ertragen.

Das 1,76 Meter hohe und 72 Zentimeter breite Bild trägt den Titel „Passion“ und stammt von dem 1943 im thüringischen Saalfeld geborenen und bei Bernhard Heisig ausgebildeten Künstler Horst Sakulowski, der wohl nur wenigen „im Westen“ ein Begriff ist, der gleichwohl nun nach Ostern eine größere Ausstellung in Höhr-Grenzhausen zwischen Koblenz und Montabaur im westerwäldischen Kannenbäckerland haben wird.

Bilder heutiger Menschen, altmeisterlich

Die hier altmeisterlich vorgeführte Ästhetik des Hässlichen und die Dornenkrone im Bild könnten es einfach machen, dieses in eine altertümliche und kirchliche Ecke abzuschieben und damit als nicht uns betreffend zu entsorgen. Dass es sich trotzdem bei dem geschundenen Leib um eine leere Hülle handelt – der Osterglaube dreht sich ja zentral um die vergänglich-sündige und göttliche Natur in ein und demselben Menschen –, in die all unsere Ängste und Nöte hineinprojiziert werden können, zeigt der Titel des Katalogs von Höhr an: „Ecce homo – Bilder von Menschen“.

Die allermeisten dieser Bilder „von Menschen“ im Plural haben eine religiöse Grundierung, meinen aber immer uns. Selbst wenn man eine gewisse Ähnlichkeit des gequälten Gesichts mit einer Fotografie des Künstlers im Katalog feststellen und damit die „Passion“ abermals personalisieren wie auch von sich weisen könnte, lässt sich das Bild kaum mehr aus Augen und Kopf schütteln. Im Jahr 2008 gemalt, scheint es zum vergangenen Jahr zu passen – mit seinen unzähligen Toten und vielen Angehörigen, die sich oft nicht einmal von den Sterbenden verabschieden oder sie würdevoll bestatten konnten (von Christi Familie mit immerhin vier in der Bibel namentlich verbürgten Brüdern stand ebenfalls nur die Mutter Maria trauernd unterm Kreuz).

Weitergehen und mit dem Kind kostbares Leben weitergeben: Die rechte Hälfte von Horst Sakulowskis, „Deutschland 1525 – Die Auferstehung“ von 1974, Öl auf Hartfaser in den Maßen 76 mal 187 Zentimeter.


Weitergehen und mit dem Kind kostbares Leben weitergeben: Die rechte Hälfte von Horst Sakulowskis, „Deutschland 1525 – Die Auferstehung“ von 1974, Öl auf Hartfaser in den Maßen 76 mal 187 Zentimeter.
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Bild: Kunstsammlung Gera

Heutzutage Bilder wie dieses zu malen ist fast schon wieder subversiv, ähnlich wie es in einer Zeit der täglich einprasselnden Kirchenskandale bereits eine Art frühchristlicher Verteidigungsbereitschaft erfordert, die Uridee noch sehen und leben zu wollen. Der Katalog indes umfasst Sakulowskis Œuvre ab den Siebzigern, etwa das 1974 entstandene Provokationsbild „Deutschland 1525 – Die Auferstehung“ einer Schwangeren, die souverän zerschlissene Leichenbinden hinter sich lässt, oder „Tod und Papst“ von 1975. Beide zeigen, dass der Künstler Mut aufbrachte, sich mit derartigen Sujets schon in der DDR zu exponieren.

Zu einer unverwechselbaren Handschrift des Malers werden die Bilder aus Spätmittelalter und Heute, indem sich Niedriges und Höchstes in seinem Werk begegnen, der Christus oder einer seiner vielen Nachfolger von „Passion“ in den Seilen hängt wie ein Gefolterter in irgendeinem Teil der Welt oder eine Marionette, die Sakulowski zusammen mit Harlekinen über Jahrzehnte immer wieder als Spiegelung des real-konsumistischen Alltagswahnsinns gemalt hat. Gleichzeitig ist durch die überwiegend hinter dem Rücken verlaufenden Stricke unzweifelhaft, dass diese den Mann nicht im mindesten in Banden legen können, er sie vielmehr überwindet.

Oder wie Sakulowski in einem Gespräch entwaffnend und zugleich tief wahr bekannte: „Künstlerische Arbeit ist eine extrem anstrengende Form der Lebensbewältigung.“ Nicht zuletzt auch deshalb, weil er sich stets jede Einmischung verbat, damals von Funktionären, heute von Auftraggebern und dem Kunstmarkt. Da aber nicht erst im Beuys-Jahr 2021 jeder Mensch ein Künstler ist, ringt der Maler wie schon der Nazarener zweitausend Jahre vor ihm und wir alle mit den irdischsten Problemen: fallen, auf(er)stehen, überleben.

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